Zement im Gorkitheater

jw/Feuilleton/20.1.15

Wenn denn der Kapitalismus und nicht der Kommunismus, das Schicksal der Menschheit sei, dann bedeute das für die Privilegierten die bequemste Form des ökologischen Selbstmords, wird im Berliner Maxim Gorki ein Heiner-Müller-Zitat von 1993 verwendet, um ein berühmtes Heiner-Müller-Stück von 1972 aufzuführen. Sebastian Baumgarten inszeniert »Zement«. Im Programmzettel findet sich die These, Zement sei eine große Tragödie über den Widerstand gegen die Vergeblichkeit.

Heiner Müllers Stück, das er nach einem Roman von Fjodor Gladkow schrieb, handelt davon, wie der Sozialismus zum realen wurde und was das für Probleme mit sich brachte. Im ausgehenden Kriegskommunismus, als die Rote Armee die Oktoberrevolution gegen ausländische Interventionsarmeen wie inländische Aufstandsbataillone verteidigte, kehrt Gleb Tschumalow 1920 nach drei Jahren an der Front in sein Heimatstädtchen zurück. Die Die Stimmung ist morbide, die Menschen sind moralisch zerrüttet und müde. Heiner Müller nahm den Stoff 1972 auf, als die 68-iger Aufbruchsbewegung in Ost und West gebremst, gebrochen, isoliert worden war.  Aktuelle Bezüge wurden in diese Aufführung aber nicht eingebaut.

1973 uraufgeführt

»Zement« wurde 1973 am Berliner Ensemble in der Inszenierung von Ruth Berghaus uraufgeführt. An dem Stück lässt sich die Vorgeschichte des realen Sozialismus debattieren, in all ihrer Dialektik und mitsamt ihren Problemen. Es geht um Gewalt, Gegengewalt, um Ideen und Sachzwänge um Anpassung und Auflehnung und um die Frage, wie blutig und schwer oft gesellschaftlichen Fortschritt “geboren” wird.

Historische Bezüge in Bühne und Choreografie

Die Bühne (Hartmut Meyer) im Gorki ist im Stil der sowjetischen Avantgardekunst bebildert, die musikalische Begleitung weist ebenfalls in die Zeit der frühen Sowjetunion (futuristisch und reduktionistisch), die Figuren sind choreographisch dem damals gerade aufkommenden modernen Ausdrucksballett angepasst, sie bewegen sich maschinenartig abgehackt.

Das Werk verrotet, die Frau hat sich verändert

Der Anfang der Geschichte besteht aus dem schon aus der Antike bekanntem Motiv, dass ein Mann aus dem Krieg kommt und die Frau nach drei Jahren verändert vorfindet. Dazu den Hof, das Dorf, die Freunde.  Im Vordergrund aber das Werk. Dass es verrottet, ist für den Heimkommenden schlimmer als alles. Die starke Identifikation mit einer Fabrik ist dabei Sinnbild der „Neuen Zeit“. Doch auch Dascha (sehr intensiv, sehr gut gespielt von Sesede Terziyan), spielt eine große Rolle. Wie jeder Krieger trug er ihr Bild drei Jahre im Herzen und nun gleicht sie diesem nicht mehr. Sie empfängt den Totgeglaubten müde und von Tod und Verzweiflung gezeichnet, halb verrückt stottert sie die Erlebnisse aus dem Hinterland der Revolution heraus, von denen er keine Ahnung hat. Sie selbst hat sich verwandelt, als hätte er sie Hundert Jahre lang nicht gesehen, er nimmt sie in den Arm, will sie aufs Bett werfen, da wehrt sie sich wie eine Katze und sagt: Besitz ist nicht mehr!  „Wenn hier einer mein Besitzer ist, so bin ich es, ich, ich, ich!“  Menschen könne man nun nicht mehr besitzen, wo das Eigentum abgeschafft sei.

Sie hat Eile, die Revolution voranzubringen

Folter und Todesqualen hat seine Frau ausgehalten, als es darum ging, ihn nicht an die Weißen zu verraten, vergewaltigt wurde sie mehrfach. Ihr Kind hat sie weggegeben, als die Roten Kinderheime aufmachten, da es ansonsten verhungert wäre. ( „Soll es krepieren? Fütterst Du es?“  „Wo ist deine Wahrheit, Krieger?“ ) Aber sie hat Eile die Revolution voranzubringen. Ihre ganze Zeit verbringt sie nun in den Ausschüssen und Kommissionen. Der Heimkommer ist entsetzt bei einem Blick in solch einen Ausschuss: Selbstbeschuldigungen, Fremdverurteilungen, Todesurteile, Erschießungen, geschwollenes Gequatsche, das Zementwerk verkommt weiterhin, Hunger, Mangel, Korruption überall. Die durch die Revolution  Befreiten sind wie eine chaotisch-anarchische Meute geschildert, die sich wildgeworden aufeinander stürzt.  Gegenseitige Denunziationen und deren Folgen, Gewalt und Überheblichkeit, leeres Gerede, Diskussionen wirken zerstörerisch, nehmen alle Zeit in Anspruch.

Verzicht auf Rache

Die weitere Handlung besteht darin, dass Tschumalow kämpft. Er will das Werk seinem Ursprungszweck wieder zuführen und die Menschen aus dem “Zement” ihrer sich im Kreis drehenden Denkmuster und Diskussionsrunden herausbrechen.  Es folgt die Szene, wo er den heimischen Ingenieur mittels des Verzichts auf Rache (dieser hat einst ihn und sieben kommunistische Funktionäre verraten) dazu bewegt, mitzuhelfen, das Werk wieder aufzubauen. “Ich bin nicht euer Freund”, sagt dieser, aber er macht es.

Ahnung, wie Selbstbefreiung der Frau aussehen könnte

Ganz stark sind die Szenen, in denen Dascha beschreibt, was die Jahre über passiert ist, Ihr Körper bäumt sich, während sie schreit und es ihm vor die Füße ausspuckt, was sie erlitten. Gleichzeitig ist sie hart geworden auch gegen ihn, denn sie packt ihn an den revolutionären Grundsätzen. Sie hat erkannt, dass sich gesellschaftlich nur etwas bewegt, wenn die Frau den Anspruch  voller Gleichwertigkeit auch gegen ihren eigenen Mann umsetzt und dies als Wahrheit bezeichnet:  („Wollen wir weiter rumlaufen mit verbundenen Augen? Oder der Wahrheit ins Auge schauen?“)  Nach diesen Szenen ist die Figur der Dascha aufrechter gestaltet, sie windet und tobt nicht mehr so stark, verzweifelt weniger. Eine Ahnung davon, wie Selbstbefreiung der Frau aussehen könnte.

Skepsis und Feindseligkeit

Die ganze Zeit über Bilder und Szenen, wie schwer und blutig die Umsetzung der Ideen der Revolution in und nach Krieg und Konterrevolution sind. Dies hat die Menschen zur Skepsis und gegenseitigen Feindlichkeit erzogen, was in sie eingesickert und in ihnen hart wie “Zement” geworden ist, erstarrt. Ein düsteres Bild der Revolution und dessen Nachklang, das historisch wenig Hoffnung lässt. Sollen wir uns also freuen, wenn uns niemals revolutionäre Zeiten „heimsuchen“, oder sollen wir uns nur vor deren Niedergang fürchten?

Mit letzter Kraft

Ein Stück, was zum Nachdenken anregt, ohne Zweifel, Konservative können es gegen die Revolution wenden und „Gnade uns Gott“ rufen, wir aber, die wir an die Notwendigkeit revolutionärer Veränderungen glauben, wir sollen auf der Hut sein und wachsam bleiben. Doch wie könnten wir das damals Geschehene in einem neuen, heutigen Fall verhindern, dem vorbeugen oder es besser machen? Ratlos entlässt einen Müller. Und doch ist am Ende das Werk wieder aufgebaut, nicht mit Geld vom reichen und fernen Kapitalisten, sondern mit der letzten Kraft und dem letzten Funken Enthusiasmus derjenigen, die überlebten.

Nächste Vorstellungen: 26.1., 19.30 Uhr, 15.2., 20.30 Uhr

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