Ópera do Malandro in der Neuköllner Oper – Theaterrezension

 

Der Malandro ist ein brasilianischer Anti-Held, ein legendärer Freund des Müßiggangs, der Schnelllebigkeit und Kleinkriminalität, traditionell mit dem brasilianischen Samba verbunden, weshalb in dieser Oper auch andauernd Samba getanzt wird.

Die legendäre Bettleroper aus brasilianischem Blickwinkel, transportiert in die Neuköllner Oper ist eine gelungene Portion Gesellschaftsanalyse und Lebensmut, sie könnte der Renner der Saison werden, denn so aufpeitschend, so scharfzüngig, so mit Kraft aufgeladen, sah man die Neuköllner Oper länger nicht mehr.

Globalisierungsimperialismus und Mädchenhandel

Mit eigenen wundervollen Rhythmen, Melodien und Texten ist die Adaptation des Bettleroperstoffs bis in die Moderne unserer Zeit mit seinen speziellen Ausbeutungsverhältnissen perfekt gelungen. Es gibt zahllose Bezüge zur Gegenwart: Der Globalisierungsimperialismus wirkt genauso aktuell wie der Mädchenhandel des Duran, der hier die Bettlerorgaisation des Peachum ersetzt hat. Dabei gibt die Musik dem ernüchtern-entlarvenden Inhalt so viel widerständige Kraft ein, dass man nicht entmutigt wird, selbst dann nicht, wenn sich, was ja der Stoff vorgibt, am Ende alle Ausbeuter zusammentun, ich weiß nicht, wie das Wunder gelingt, es muss daran liegen, dass die ganze Zeit über die Ebene des „Zur-Schau-Stellens“ nicht verlassen wird.

Als sei es heute geschrieben worden

Es ist ein Spiel, es zeigt etwas, punktum, und die Musik transportiert den Widerstand dagegen. Das Stück `Ópera do Malandro´ hat das größte Genie der brasilianischen Musik, Chico Buarque de Hollanda geschrieben, es feierte 1978 seine Premiere in Rio. Obwohl uns Buarque dabei in das „Arme-Leute-Viertel“ Lapa in das Rio der 40-iger Jahre führt, so führt es die Neuköllner Oper so auf, als sei es heute geschrieben worden.

Glänzende Stimmung

Im Hintergrund läuft ein im heutigen Lapa gedrehter Film in dunkelorangenen Farben nächtlicher Beleuchtung, im Vordergrund angedeutete Bogengänge altmodischer Bauten, hinter denen versteckt die Band, bestehend aus Saxophon, Klarinette, Flöte, Bass, Percussion, Klavier und Gitarren spielt, im Vordergrund fast ohne Requisiten die Spieler, die vor allem durch ihre in Einzelheiten stimmige Kostümierung (Gilvan Coélo de Óliveira) auffallen und dort vor allem in der Choreografie und im Gesang glänzende Stimmung rüberbringen.

Die Stärke der Unterdrückten auf die Bühne bringen

Das Stück wird brasilianisch-deutsch gesprochen und gesungen, je nach gerade vorherrschender Bühnensprache läuft oben im Streifen die deutsche oder brasilianische Übersetzung. Aber wenn die Sprache auch chinesisch gewesen wäre, man hätte doch aus der Musik und dem Bewegungsreichtum der Spieler alles verstanden. Der Choreograph Rônni Maciel, ein brasilianischer Tänzer und Artist, seit einigen Jahren auch in Deutschland tätig, schafft es seinen Darstellern Größe und Schönheit in allen Bewegungen, selbst den kleinsten, einzugeben. Gelungen ist, die Stärke der Unterdrückten auf die Bühne zu bringen, obgleich Gaunertum und Verbrecherwelt gezeigt wird, wird doch deutlich, zu welchem Zweck es gezeigt wird, dem der Entlarvung.

Auch in den winzigsten Einzelheiten Feuer und Typisches

Selbstbewusstsein und Widerstand der Kleinen ist hier das Thema und in ihren Tänzen kommt es zum Ausdruck. Es brillieren alle Spieler gleichermaßen, man kann nicht sagen, dass es Haupt- und Nebenrollen gibt, das besondere ist, dass jeder der Auftretenden, gleichzeitig Sänger, Spieler und Tänzer, in einmaliger Weise die Sache gestaltet. Da ist die Sängerin Julia Gámez Martin in der Rolle der Teresinha, der widerständigen Tochter des Verbrechers Duran, die ein Beispiel großartig selbstbewusster weiblicher Erotik bietet, dazu die Dirigentin, Pianistin, Gitarristin und Sängerin brasilianischer Popularmusik Suely Lauar, die die kalte Mutter Vitoria gibt, dabei unnachahmlich den brüchigen Charakter dieser Figur hinbekommt, der Verbrecher-Polizeichef Chaves, dem der Brasilianer Claudio Goncalves eine raubtierhafte Fiesheit verleiht, die vor allem im Blick deutlich wird, die androgyn verkleidete Marcella Maria Xuparina dos Santos, die einmalig die Brutalität männlichen Gehabes auf die Bühne bringt, Daniel Ris, der die Transe Geni spielt, die auch in den winzigsten Einzelheiten Feuer und Typisches zeigt, Guido Renner, ein Deutsch-Brasilianer, der den Verbrechersyndikatsverwalter wie einen Politiker von Welt darbietet, die Brasilianerin Isabela Santos, die mit einmaliger Frechheit und gespielter Kindlichkeit zwei Mädchenrollen großartiger Dichte spielt und last not least, Daniel Schröder, aus dem Vordertaunus, der wie geboren in der Lapa, Rio, als ehemaliger „blue man“ die brasilianischen Rhythmen mit der Muttermilch eingesogen zu haben scheint.

Lust auf Leben jenseits von Unterdrückung

In jeder, noch der kleinsten tänzelnden Körperbewegung mit Händen und Füßen, drückt der junge, leicht dunkelhäutig-latinomäßig aussehende junge Mann die Freude am brasilianischen Samba aus, auch hier eine enorm selbstbewusste erotische Ausstrahlung, die dem Stück eine großartige Präsenz verleiht und Lust auf Leben jenseits aller Unterdrückung macht. Hingehen, Karten sichern!!!

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