Demian – Gastspiel im Grips – Rezension

25.8.11./Feuilleton / junge welt

Alle waren gespannt auf die erste Aufführung unter der neuen Intendanz des Stefan Fischer-Fels im Berliner Grips. Geboten wurde eine Adaption von »Demian, die Geschichte einer Jugend«, einem frühen Werk von Hermann Hesse aus dem Jahr 1917, unter der Regie von Daniela Löffner, die das schon letztes Jahr in Düsseldorf aufgeführt hatte.

Es geht darin um die Befreiung eines Jugendlichen aus seinen Kindheitsfesseln, um den Weg »zu sich selbst«. Das Gastspiel wurde angekündigt als ein Beispiel für die »Handschrift« und für die Möglichkeiten des neuen Intendanten.

Hesse hat nun einige sehr gute Sachen über die Kindheit in patriarchal-wilhelminischen Familien geschrieben. Darüber, wie wenig emotionalen Schutz es dort hinter all den oberflächlichen Liebesbekundungen in Wahrheit gab. Hesses Jugenderlebnisse ähneln denen von Thomas Mann, die er 1903 in »Tonio Kröger« beschrieben hat. Beider Protagonist wird zwischen heftigen Gefühlen hin- und hergerissen, die ihn schon viel früher befallen, als Erwachsene es üblicherweise glauben. Beider Protagonist entwickelt homoerotische Identifikationsgefühle zu einem Schulkameraden. Während im »Tonio Kröger« das Gewaltelement weitgehend fehlt, ist es bei Hesse um so stärker vertreten – in einer pathologischen Mischung von Eros und Sadismus.

Emil Sinclair wird auf der Straße abgezogen. Er wird erpreßt, wiederholt gequält und entwickelt eine existentielle Angst, die wie ihn befällt wie eine Leidenschaft, der er nicht entrinnen kann. Ein häufiges Jungenthema, speziell derer aus »gutem Hause«, die bevorzugt die Opfer sozialer Rachegefühle von »Straßenkindern« sind. Nie kommt ihm der Einfall, sich etwa den Eltern anzuvertrauen. Erst der homoerotisch angeschwärmte, freundliche Demian, der schon etwas älter ist, bringt Rettung und Hilfe. Allerdings im Nachgang auch Schuldgefühle für Emil, der eine Liebe zu diesem Jungen entwickelt.

Wie ist nun dieser Stoff in dem Stück umgesetzt worden? Zunächst wirken die Monologe der Hauptperson »Sinclair« etwas sperrig. Die Sprache ist keine der heutigen Jugend, sondern wirkt leider wie literarisches Monologisieren am nächtlichen Schreibtisch. Auch das Alter, der Protagonist ist zu Beginn erst zehn Jahre alt, wird nicht getroffen: man sieht einen jungen Mann, der allerhöchstens bis zu 18 runtergeschätzt werden kann. Und dann der Umschwung gleich nach den ersten dahin plänkelnden Worten von heiler Familie und Ähnlichem in die manifeste Gewalttätigkeit. Kromar tritt auf, er trifft sein Opfer auf dem Schulweg. Er wird als Sadist gegeben, laut, brüllend, im SA-Befehlston, ohne daß diese Parallele allerdings gezogen würde. Seine Quälereien scheinen echt. Das kommt unerwartet und war in dieser Art noch niemals Thema im Grips.

Denn Jugendgewalt, wie beispielsweise in »Eins auf die Fresse« war in diesem Theater immer von einer abschwächenden, gleichsam ins Beispielhafte zielenden Distanz geprägt. Sie wurde durch Gegenfiguren begrenzt, konnte niemals Selbstzweck werden. Sie schreckte auch deshalb nicht, weil es immer noch etwas Freiheitliches gab, das dagegen gesetzt wurde: Laufen, Herumspringen, etwas anderes eben, ein Ausblick, wie es auch sein könnte, ohne dabei belehrend sein zu wollen. So etwas fehlt bei diesem »Demian« völlig. Es scheint nicht intendiert zu sein. Der junge Sinclair brüllt ohrenbetäubend, der Täter Kromar schlägt ihn auf eine gänzlich rücksichtslose und sogar direkt technisch versierte Erwachsenenart permanent mitten ins Gesicht. Er demütigt ihn, schleift ihn mit heruntergezogenen Hosen über den Boden, legt seine Hand auf die heiße Herdplatte. Der Quäler lacht, belauert, beschimpft, quält, es hört nicht auf. Der Sadismus ist übertrieben und hat dadurch zu starkes Gewicht. Gleich zu Beginn der Bedrohungsszenen wird Emil von Kromar mit echten Eiern beworfen, mit voller Wucht, ins Gesicht, aufs Auge, nicht einmal, sondern drei-, vier- fünfmal. Was soll das? ­Iiihhh schreit es im Publikum, während die Sauce am schwarzen Hemd des Emil herunterläuft. Einige männliche Jugendliche im Publikum feixen. Im Programmheft lese ich später, das Ei sei ein Symbol des Übergangs von einem Leben in ein anderes. Nun ja.

Um die Partyzeit des Emil Sinclair darzustellen, werden ihm ebenso wie den Schauspielerinnen mehrere Literflaschen unter Gewaltanwendung und unter schrecklichem Schreien in die offenen Münder gegossen. Sie ziehen sich aus und springen allesamt nackt in die unten entstandene Sauce aus ausgekipptem Mehl und Wasser, wälzen sich darin und ahmen sexuelle Handlungen nach, die alle mit Gewalt vermischt sind. Den Frauen wird der Kopf nach hinten gebogen und dann, als pinkele man hinein, gelbe Limonade hineingeschüttet. Auch ein Riesenpenis kommt ins Spiel, eine der Frauen tanzt um ihn herum, klar, daß er ihr danach in den Mund gedrängt wird. Das Publikum schweigt bis auf einige wenige Männer, die lachen.

Die Aufmerksamkeit des Publikums wird durch die Brutalität und Sinnlosigkeit auf der Bühne zwar gefesselt, es ist dies aber keine aktive, selbst gesteuerte Konzentration, eher ein passives Hineingezogensein. Eine Bewunderung für den Realismus, den die Schauspieler da auf die Bühne bringen, für den Mut, den sie haben, sich ausgezogen, in der Schmiere gewälzt und sich gegenseitig wirklich drei Liter Wasser in die offenen Münder gekippt und in die Fresse geschlagen zu haben. Mit Hesse hat das nichts zu tun, mit dem Grips hat das nichts zu tun. Alles war vorhersehbar, wirkte aneinandergereiht und öde. Herr Fischer-Fels hatte versprochen, er würde den Charakter des Grips beibehalten, oder sogar weiterentwickeln. Wenn es in diese Richtung ginge, wäre es äußerst schade.

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