Vergissmeinnicht – Filmrezension

Der Film eines Sohnes (David Sieveking) über seine an Alzheimer erkrankte Mutter ist besonders, nicht wegen der Schilderung der Alzheimer-Symptome, sondern von der Darstellung des familiär-schützenden Beziehungsgeflechts her, das hier indirekt immer mehr Präsenz der gezeigten Hauptperson aufschimmern lässt.

Wir lernen sie kennen als schon sehr stark erkrankte Frau, die ihre Wohnung nicht mehr erkennt und ihren Sohn mit ihrem Mann verwechselt. Doch je mehr wir mit dem Sohn zusammen in die zahllosen Alltäglichkeiten der Mutter Einlass finden, desto näher kommt uns ein ganzer Mensch, den wir nun in diesen 1 ½ Stunden so tief kennenlernen, als wären wir mit ihm befreundet gewesen. Beinahe noch stärker als in „Liebe“ von Haneke, wird hier die mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufgeladene Welt zweier Beziehungspartner in den 68iger Jahren nachgezeichnet (des Vaters mit der Mutter), die sich eine andere, bessere Welt gewünscht haben und dafür vielfach tätig waren. Mittels der in diesem Prozess der Veränderung gewachsenen Erkenntnisse begreift nun der Ehemann, was seine Frau im „Projekt Familie“ alles geleistet hat, ohne dass er es seinerzeit hatte würdigen können.

Liebe wächst mit der Wahrheit

Im Laufe der Filmgeschichte begleiten wir Mutter und Sohn bei einer Reise, die der oft im Dämmerschlaf liegenden Frau neuen Auftrieb gibt, ebenso begleiten wir den Sohn auf seiner Reise in die Vergangenheit der Mutter, die eine überaus tätige, bewusst lebende Frau gewesen war. Dazu erleben wir voll Verwunderung, welche Talente in den siebziger, achtziger Jahren unsere heutige Zeit erst möglich machten in seiner kulturellen und widerständigen Vielschichtigkeit. Gleichzeitig wird auch der Vater in seiner Sensibilität eine immer tiefer durchdrungene Persönlichkeit. Liebe wächst mit der Wahrheit, das ist die Botschaft, die hier keineswegs kitschig, wie es das Filmplakat suggeriert, sehr gut und klar transportiert wird.

Gewinnt an Tiefe 

Ein Film, der von den Erinnerungen lebt und den Weg der Hauptperson ungeheuer wertschätzend nachgeht, eine echte Alternative zu der Art, wie es einst der Sohn Walter Jens´ probiert hatte, aber es ihm dabei, wie ich finde, nicht gelungen war. Seiner Personenerinnerung fehlte es an Tiefe, sie verflacht eher in der nachfolgenden Betrachtung aus dem Krankheitswinkel, diese gewinnt erst an Tiefe in diesem Moment.

Lässt uns tagelang nicht los

Das beobachtende Film-Ich, der Sohn, ist zunächst überaus ahnungslos, wächst dann aber in seine Aufgabe ganzheitlicher Betrachtung immer mehr rein, ein Film, der Einzelheiten aneinanderreiht und daraus ein wunderbares Porträt geschaffen hat, ein leiser Film, ein bescheidener Film, am Ende sind wir um eine Freundschaft reicher und haben etwas über unsere jüngste Zeitgeschichte gelernt. Und obgleich der Film so leicht erscheint, so fröhlich, liebevoll, ja humoristisch, so wirkt er doch nach und lässt uns Tage nicht los. Unbedingt reingehen

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