Morgen wird alles besser – Jutro bedzie lepiej erhält den Friedenspreis

Friedensfilmpreis_2011Jubel am Nachmittag im Babylon, als der 26. Friedensfilmpreis der Filmfestspiele  für den Film: „Morgen wird alles besser“ –  Jutro bedzie lepiej in der Regie von Dorota Kedzierzawska, vergeben wird.  Eine gute Entscheidung, dieser Film war einer der besten der diesjährigen Berlinale und im Gegensatz zur “Schlafkrankheit” war er nicht langweilig und im Gegensatz  zum iranischen Preisträger-Beziehungsdrama zeigte er nicht nur ein privates, sondern ein soziales Drama.  Straßenkinder sind seit der Kapitalisierung nicht nur in Osteuropa zum Massenphänomen geworden. Dann war er auch noch wunderschön und zeigte Kraft und Mut der Schwächsten.

Der Film ist großartig,  zu Beginn Bahnhofstüren, immer wieder Kinder, die durch Bahnhofstüren rasen, Schwingtüren, durch die man mit den Händen voran, sie aufstoßend, einfach nur rennen muss und die dann hin- und zurückschwingen in der dunklen und kalten Bahnhofszugluft, die man förmlich auf der Haut spüren konnte, gleich in der ersten Einstellung, deren Farben Rembrandt inspiriert zu haben schien, alle Figuren hell aus dunklem Hintergrund kommend, Brauntöne. Zwei Kinder rennen bis sie zu ihrem Schlafplatz, einer Bank, wo der ältere, er mag elf sein, oben, der jüngere, fünf, sechs vielleicht, unten, auf einer Pappe schläft, die Kamera folgt dem Blick des Jüngeren durch die Stäbe der Bank zu seinem Bruder hinauf, es ist Nacht, die Bahnhofslampen geben nur spärliches Punktlicht, es gibt Streit um eine weggeworfene Kippe, die der Jüngere genüsslich raucht, dabei lachen sie und eine schwarze, zum Teil abgebrochene Milchzahnreihe wird sichtbar, dazu das helle Lachen dieses kleinen Straßenkindes, das einem durch Mark und Bein geht. Großeinstellungen des kindlichen Mundes, der an der Zigarette wie an einer Süßigkeit saugt, weiche Einstellung, Großaufnahme.

Vasja! Vasja!  Nimm mich mit!

Schlafen ist nur wie ein kurzes unscharfes Dämmern möglich, der Kleine muss immer auf der Hut sein, denn sein Bruder hat mit einem größeren Jungen etwas ausgeheckt, was er belauschte, sie wollen abhauen und den Kleinen zurücklassen. Als das tatsächlich geschieht, läuft der Kleine über tausend dunkle Gleise hinterher, „Vasja! Vasja!“ „Nimm mich mit!“ Daraufhin sieht man den größeren Bruder am Ende den kleineren verprügeln, das wird sehr kunstvoll in Standbildern festgehalten, mit abgedämpftem Ton, man sieht sie ihn dann aber doch in den Güterwagon hochziehen und als alle erschöpft beieinander lehnen, sieht der ältere Bruder Vasja, als der Zug kurz steht, in einem Haus eine Mutter, die ihren Säugling hochnimmt, diesen umarmt, an sich drückt und liebevoll zu Bett bringt, die Szene ist nur kurz, unspektakulär, aber sie löst etwas aus in ihm, er beugt sich zu dem an ihm liegenden, schlafenden Bruder hinab und küsst ihn wild ab, das ist eindrucksvoll und sehr berührend gestaltet, da dieser Gefühlsausbruch wie aus seinem Inneren, beinahe gegen seinen Willen in ihm aufbricht, eine plötzliche Welle von Liebe dem Schlafenden gegenüber, wie er sie nie für den Wachen hat. Tagsüber möchte Vasja seinerseits dem älteren Freund imponieren und oft ist die Sorge für den Kleinen auch anstrengend für ihn. Nur manchmal kann man ihn auch gut gebrauchen. Immer dann, wenns ums Betteln geht, denn da kann Petya bestechend charmant sein, speziell zu Marktfrauen an Brotständen.

Blödsinn. Das ist eine Schnur!

Eine Reise zu Fuß über Bahngleise, die zur Grenze führen, Richtung Westen, man sieht die Kinder endlos, durch Gras überwucherte Wildnis, über Bahnschwellen wandern, zu einer Grenze, hinter der es besser sein soll als zuhause. Die Grenze ist durch elektrische Zäune gesichert, darunter hindurch zu klettern, lässt der ältere Junge die beiden vorher an ausgespannten Schnüren im Wald üben. Köstlich die Szene, wo der Ältere von der Elektrizität der Schnur doziert und der kleine Petya entwaffnend schlau immer wieder die Schnur berührt und sagt: „Blödsinn. Das ist eine Schnur!“  Durch viele solcher Kleinigkeiten ist der Blickwinkel des jüngsten Kindes unglaublich gut getroffen, aus ihm ist der ganze Film gedreht und gewinnt der Film seine große Überzeugungskraft, er könnte für ein neues Jahrhundert des Kindes stehen, für das, was der große Pädagoge Januz Korczak einst in Polen realisierte, ein Niederknieen vor den ungeheuren Fähigkeiten von Kindern, vor ihrer noch frischen, ungebrochenen und kaum je zu brechenden Kraft, an die Hoffnung zu glauben auf ein besseres Leben.  Die Kinder erleben auf ihrer Reise eine Einsamkeit und Verlorenheit, die selbst dem Zuschauer, im warmen Kino sitzend, Angst macht, aber helfen sich durch ihr Lachen, ihre Einfälle, ihre sozialen Fähigkeiten, die sie sich als Straßenkinder, mit meist strengem Ehrenkodex, angewöhnt haben, doch ist das aber oft auch hart, rau, gemein. Die Kinder wirken vorgereift, aber auch frühzeitig hart gemacht, sie laufen schon mit Schalen um ihre Seelen herum, die nur ab und an manchmal aufbrechen. Petya als der Jüngste, hat hier die Funktion, diese Kindlichkeit noch sehr stark zu repräsentieren, immer wieder gibt es Szenen verblüffender Kindlichkeit. Wunderschön die Szene, wo Petya mit dem dreckigen Daumen im Mund daliegt, wo er seinem Teddy zu essen gibt und ihn küsst, die Kunst, solche Szenen nicht kitschig wirken zu lassen, sondern echt, ist hier vollkommen vorhanden, nicht eine Szene hat Kindertümelndes. Immer wieder ergeben sich Situationen, wo die Kinder den Kleinen zurücklassen wollen, immer wieder entdeckt Petya, was sie vorhaben und vereitelt es im letzten Moment.

Spielen mit einem kleinen Käfer

Einmal kommen sie zu einem alten einsamen Mann, der bei einer alten riesigen Industrieanlage Wache hält, der möchte gern den Petya behalten, er drückt ihn an sich, er schmeichelt ihm, was für ein süßer Junge er doch sei und dass er ihm zu essen und zu trinken geben würde, aber Petya lässt sich nicht eine Sekunde täuschen, er spürt und man fühlt es mit ihm, dass die vermeintliche Liebe des Alten nichts als pures Besitzergreifen zur Stillung der Einsamkeitssorgen des Alten ist, Petya flieht, läuft dem Laster mit den großen Kindern hinterher bis der anhält, sie schaffen nicht, ihn zurückzulassen, wenn er es nicht will.  Der Film lebt durch viele kleine Nahszenen, so das Spielen mit einem kleinen Käfer auf den Händen des Petya, das Organisieren von Wasser mittels zweier aneinandergebundener Flaschen an einem langen Seil, das sie von Brücken herablassen. Der Höhepunkt ist das schwierige Unterfangen, in tiefster Nacht unter den elektrischen Zäunen hindurchzukriechen, hier sieht man die Großen das erste Mal den kleinen Bruder suchen, der nach seinem erfolgreichen Hindurchkrabbeln, auf der anderen Seite sofort eingeschlafen war. Als sie in Polen im ersten Dorf ankommen, rufen die dortigen Kinder im Takt: „Wer bist Du? – ne russische Schlampe! Was ist Dein Zeichen? – ne leere Wampe!“ Lyapa, der ältere Freund, sagt: „Irgendwann kommen wir wieder zurück“ „Wirklich? Wie denn?“ „Wir kommen als Könige zurück.“

Der Friedensfilmpreis der Internationalen Filmfestspiele in Berlin wird zum 26. Mal vergeben. Der Preis wurde 1986 im UNO-„Jahr des Friedens“ von Berliner Friedensgruppen gestiftet; im Laufe der Jahre ist er zu einer der bedeutenden Auszeichnungen der Internationalen Filmfestspiele Berlin geworden. Er ist weltweit der einzige Friedenspreis auf einem A-Festival. Die Laudatio hielt Yasemin Tabatabai.

4 Antworten auf “Morgen wird alles besser – Jutro bedzie lepiej erhält den Friedenspreis

  1. Den Film “Morgen wird ….” habe ich ebenfalls bei der Berlinale gesehen, musste leider nach 60 Minuten wg. Termindruck die Vorstellung verlassen. :-((
    Seitdem habe ich vergebens nach weiteren Vorstellungen Ausschau gehalten. Programmkinobetreiber, die ich angemailt habe, fanden den Aufwand zu groß, also ein Film den ich so gerne nicht in 3Sat oder Arte sehen würde.
    Was kann man nco machen ??
    T.Wieck

    1. Das sehe ich auch so, zu schade, dass dieser Film nirgends zu sehen ist, einfach öffentlich machen, bei den örtlichen Kinos anfragen, den Filmvertrieb anrufen, so erging es mir einst mit dem Film: the tic code, er wurde nie gezeigt, nur auf der Berlinale und war doch ein so großartiger Film, einfach die Nachfrage steigern!

  2. Am Montag, den 18.02.13 um 20 Uhr zeigt das Hackesche Höfe Kino Jutro będzie lepiej / Morgen wird alles besser (polnisch OmU)- wir hoffen, dass diese Notiz viele erreichen wird, die den Film so gerne sehen möchten!

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