Perikızı im Ballhaus – Romanadaptation: Die Brücke vom Goldenen Horn – Rezension

Das Ballhaus Naunynstraße hat sich in Ihrer jüngsten Premiere an einen Romanstoff von Emine Sevgi Özdamar gemacht, Perikızı, die Umsetzung des Romans: Die Brücke vom Goldenen Horn, es handelt sich um einen Namen und zwar von einem Mädchen und  man betont ihn:  Peeriii – und dann ızı, was mit zwei extrem kurze trockenen i´s ausgesprochen wird. Die Deutschen ignorieren diese Besonderheit oft, weil sie es nicht kennen, aber der Witz dieses Namens liegt in den zwei kurzen i´s, die dem vorne lang betonten Teil erst den Pfiff geben.

Perikızı ist ein junges Mädchen, noch im Kinderkleid, hat sie auch in der Art etwas kindlich-Trotziges an sich, was fast noch vorpubertär anmutet. In der ersten Szene sitzt sie mit dem Rücken zum Publikum mit ihrer Großmutter am heimatlichen Küchentisch und lauscht den Geschichten von Krieg, Feuer und Tod, sowie denen von den drei Männern die die Großmutter hatte: „Dann haben sie mich seinem Bruder zum Weibe gegeben“, zwei von ihnen sind in irgendwelche Kriege gezogen und kamen als nicht mehr dieselben Menschen zurück. Perikızı spricht in Shakespeareversen, sie erweisen sich als alltagstauglich und umgeben das Kind mit einer ungewöhnlichen poetischen Kraft. Die Eltern versuchen sie von ihrer Idee ins „goldene Europa“ zu gehen, abzubringen, aber das Mädchen bleibt dabei, sie will Schauspielerin werden und dank Shakespeare weiß sie auch immer zu kontern.  Eine schalkhafte und unwirkliche Kraft geht von diesem kindhaften Mädchen aus, das Spiel der Schauspielerin Elmira Bahrami, geboren in Siegen, wirkt dazu passend, betörend und sinnlich. Wie schafft sie es, gleichzeitig weise und kindhaft zu scheinen, wie schafft sie es, dieses immerwährende Erstaunen und Wissen in ihr Gesicht zu bringen? Wie schafft sie es, so klar in der Welt vorankommen zu wollen und ihr doch so fremd zu bleiben, gleichzeitig uns dabei aber so nah zu kommen? Rätselhaft, eine großartige Schauspielleistung.

So ein Kribbeln, wie Feuer

Schon in den ersten Szenen werden gängige Vorurteile gebrochen:  Die Großmutter erzählt dem Mädchen von einem Gefühl, das sie einmal hatte, als ihr der 3. Mann zeigte, dass man als Frau auch oben sitzen könne: „So ein Kribbeln, wie Feuer…“, sie zeigt auf die Beine, „..das von unten hochkam und dann oben aus meinem Kopf raus..“, sie streicht mit den Händen an ihrem Körper von unten nach oben entlang, schwingt zum Schluss die Hände hoch, darauf das Mädchen: “Großmutter, das war ein Orgasmus!“, die alte Frau kichert. Keine der erwarteten Kopftuchprobleme, keine Rede von Ehrenmord und ähnlichem, es wird weder Gewalt angewendet noch damit gedroht, die Mutter sagt zwar:“Dann geh doch, geh!“, aber erzählt der Tochter gleich darauf, dass sie ein Feenkind gewesen sei, denn sie habe sich nach der Geburt erst gerührt, als man sie in ein Grab gelegt habe, sie sei also von Feen wiederbelebt worden und daher etwas Besonderes und sie, die Mutter  liebe sie also um so mehr. Perikızı antwortet in den Versen des Sommernachtstraums und die Eltern sehen ein, dass sie sie nicht halten können. So zieht dies Kind von dannen. Ein schönes Bild von Freiheit, die sich ihre Bahn bricht. Über die, in die Zuschauer wie ein Keil eingetriebene V-förmige Bühne, springt daraufhin Perikızı in einen  Schwingreifen, der sich quer über die Zuschauerköpfe, wie in einer Zirkusmanege bewegt.  Einem Zirkussambiente ähneln auch die weiteren Figuren.

Du hast Illusionen, mein Kind

Die Szenen im Zug nach Europa, im Wohnheim in Deutschland, in der Fabrik, sind großartig gestaltet, voller Poesie und Einfallsreichtum. Die Bedrohlichkeit der Erwachsenenwelt wird durch jeweils eine Gruppe von an Shakespeare angelehnten geschlechtslosen Zauber-Traum-Wesen gestaltet, die, unterschiedlich verkleidet, mal als angekränkelte Tänzerinnen, mal als Zirkussclowns, mal als Schlafgenossinnen im Wohnheim, immer wieder die Hauptperson gegen den Rest der Welt abgrenzen.  Die Gestalten ähneln Lemuren, ehemaligen Huren, Transvestiten auf Urlaubsreise, Zirkus-Fabelwesen, aber sie umschmeicheln und umschwärmen Perikızı, raten ihr und schimpfen mit ihr in einer Traumwelt, die Lust auf Schauspielerei scheint mit der  Angst zu ringen, die ihr die veränderte Außenwelt macht. Doch hilft ihr bei allem immer wieder Shakespaere, ihr Wunsch treibt sie vorwärts und das unerschrocken.  Gesagt und geraten wird ihr: „Du hast Illusionen, mein Kind! In Europa lacht man nicht! In Europa hat man andere Klos, … deine Rente wird sich nicht amortisieren!“  „Wir sind alles ehemalige Huren, deshalb fahren wir nach Europa!“ Sie staunt nur, geht auf ihre Schaukel und bleibt auf Distanz. Und während  sich alle lustig machen über ihr Ansinnen, Schauspielerin zu werden, setzt sie dem etwas Trockenes entgegen, eine Siegesgewissheit, weibliches Selbstbewusstsein, wie man es selten im Theater zu sehen bekommt, die junge Elmira Bahrami ist absolut großartig!

Nur dass ich nicht mitspiele

Träume und Alpträume werden sichtbar, hier exemplarisch die der Wohnheimgenossinnen: „Die Menschen und die Straßen sind hier wie im Film, nur dass ich nicht mitspiele in diesem Film! Ich habe keinen Vater, keine Schwester, ich höre eure Stimmen nicht mehr! Den Toten kannst du nicht entkommen.“  Nicht ohne Witz, denn dazu übt einer der Wohnheimer unablässig das deutsche Wort für Löffel:  “Löf..Löff..Löfff“.  Nachdem sie die Arbeit in der Fabrik geschmissen hat, wird sie von einem Zirkus „entdeckt“, dort wird enthüllt, was unter freier Liebe in Europa zu verstehen ist, zuerst wird sie vom Zirkusdirektor umschmeichelt, dann mit dem Hinweis auf „Freie Liebe“ ausgezogen, dann an ein imaginäres Kreuz ge“nagelt“ (hier eine traumartig abgeschwächte Messerwerferszene), dann von einem Mann, der sich schwer auf sie legt, beschlafen. Hier verliert sie erstmalig ihre strarktrotzige Stärke und Kraft, Blut rinnt ihr an den Beinen herab, sie sinkt in eine Bewusstlosigkeit, während die Großmutter sie im Traum besucht und sauber wäscht. Ein wunderschönes Bild für Trost, die Musik spielt Maria Farantouri.  Am Ende stehen ihre Handpuppen wieder auf, kleine strumpfartige Figuren, mit denen sie, als sie Kind war, ihre imaginären Dialoge führte.   Ist sie wieder daheim oder ist sie endlich am Theater?

Und ihr, was glotzt ihr so?

Originelle Ideen lieferte auch die Kostümbildnerei, Sophie du Vinage, geboren in Dresden, hat sich wirklich tolle Sachen einfallen lassen, die überdimensionierte, an der Wand aufgehängte Bettdecke samt Kissen, die die Betten in der Enge des Wohnheims darstellen und aus der sie die Leute herauskrabbeln und hinunterschlüpfen lässt,  ist ebenso originell wie die zahlreichen Kostüme der Fantasiegestalten aus Perikızıs Traum- und Alptraumwelten.  Die Musik von Jorgos Psirakis, der gekonnt Jazz und griechische Musik mischt, unter anderem ist ein wunderschönes Lied von Maria Farantouri erkennbar, macht den internationalen Blickwinkel, der hier geboten wird, komplett.  Originell sind außerdem die Ideen, das Fließband der Fabrik mit Kurbel und Gummischlauch zu karikieren, die Deutschen durch Bayern ad absurdum zu führen und den Vorarbeiter in der Fabrik sehr typisch motzen zu lassen: Und Ihr? Was glotzt ihr denn so?“ Ernstes wird nie sentimental, Witziges immer sinnreich, Politisches bleibt indirekt. Schöner Satz: “Wo bist du, mein Land?…wo meine Toten auferstehen, …das Land, das meine Sprache spricht?”

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