Sarrazin, die SPD und die neue Rechte – Buchrezension
jw / Feuilleton / 14.2.12
Für seinen 2010 veröffentlichten Bestseller »Deutschland schafft sich ab« ist Thilo Sarrazin nicht aus der SPD rausgeflogen. Auch wenn der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel die Ansicht vertreten hatte, der ehemalige Berliner Finanzsenator sei nicht mehr in der Partei zu dulden.
Es war das zweite Parteiordnungsverfahren, das Sarrazin überstand. Nachdem er 2009 in einem Interview mit der Zeitschrift Lettre International die sozialdarwinistischen Thesen seines Buchs schon angedeutet hatte, wollten ihn Teile der Berliner SPD wegen parteischädigendem Verhalten ausschließen, was jedoch nicht gelang.
In ihrem Ende 2011 erschienenen Buch »Sarrazin, die SPD und die Neue Rechte« untersuchen Thomas Wagner und Michael Zander die Bedetung von Sarrazin für seine Partei und damit auch für das bürgerliche Lager, also den gesellschaftlichen Ort, um den sich in der SPD alles dreht. Da lesen wir, wie sehr der Regisseur Volker Schlöndorf von Sarrazin angetan war, daß er ihn »bewundere«, weil dieser ihm »aus der Seele« spreche. Die Krimi-Schriftstellerin Cora Stephan verteidigte Sarrazin gegenüber einer »Hetzjagd«, die es angeblich auf seine Person gegeben habe, wobei »zivilisatorische Grundwerte auf der Strecke« geblieben seien, und Hamburgs Exbürgermeister Klaus von Dohnanyi attestierte Sarrazin »Leninsche Klarheit«, weil dieser die Frage »Was tun?« gestellt habe.
Wagner und Zander machen deutlich, daß sich solche Äußerungen in früheren Zeiten eher in rechten Foren hätten finden lassen. Die medial befeuerte Aufregung um Sarrazin, die Art und Weise, wie er ernst genommen und diskutiert wurde, machten ihn zum Türöffner für Gedankengut, »das lange Zeit als rassistisch, nationalistisch und herrschaftsgläubig geächtet war«, schreiben Wagner und Zander. Als »Syndrom« der bundesrepublikanischen Gesellschaft steht sein Name für eine Änderung im bürgerlichen Selbstverständnis im Zuge der kapitalistsichen Krise. Es war eben nicht nur die rechtsradikale Junge Freiheit, die Sarrazin als Volkshelden feierte.
Wagner und Zander unternehmen nun die Anstrengung, das Buch »Deutschland schafft sich ab« auf seinen Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen, insbesondere die statistischen und philosophischen Anleihen, die Sarrazin serviert. Schnell wird deutlich, daß Ausgangspunkt von Sarrazins Ideen ein sozialdarwinistsicher Intelligenzbegriff ist, den er in erster Linie aus der vermeintlichen Geschichte der Deutschen (immer ein »tüchtiges Volk« gewesen) ableitet und in rassistischer Perspekive verhandelt. Wagner und Zander fassen den Sarrazinismus eher trocken zusammen und können sich anders als er auch viel besser ausdrücken. Sarrazins Lieblingsthese von der angeblichen Naturgegebenheit des menschlichen Konkurrenzkampfes und damit einhergehend die Rechtfertigung einer Hierarchisierung der Gesellschaft werden von den Autoren mit sozialwissenschaftlichen und ethnologischen Forschungsergebnissen komplett widerlegt. Folgt man Wagner und Zander, dann ist die beliebte Ideologie von den »Leistungsträgern« ein Prinzip, das sich sozusagen selbst zerstört, denn es läßt die Menschen, die daran glauben, aus Angst vor sozialem Abstieg paranoid werden und sozial verrohen.
Aus diesem klar und sachlich argumentierenden Buch könnte man ganz hervorragend ein antikonservatives Argumentationsspiel für politische Gruppen oder für die Gewerkschaftsarbeit entwickeln.
Thomas Wager/Michael Zander: Sarrazin, die SPD und die Neue Rechte. Spotless, Berlin 2011, 128 Seiten, 9,90 Euro