Ungeduld des Herzens – Rezension

26.1.16 / jw – Feuilleton

Die abgebrannten Bäume

Stefan Zweigs »Ungeduld des Herzens« an der Berliner Schaubühne

Von Anja Röhl
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»Ihm ist jedes Gefühlsleben abtrainiert worden«
Foto: Gianmarco Bresadola

Nächste Aufführungen: 11. u. 12.2., 20 Uhr, 13.2., 18 Uhr, 14.2., 16 Uhr

An der Berliner Schaubühne wurde Stefan Zweigs Roman »Ungeduld des Herzens« zu neuem Leben erweckt. Regisseur Simon McBurney, Mitbegründer der berühmten britischen Theatergruppe Complicité, hat erstmals mit einem deutschen Schauspielerensemble gearbeitet. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Zunächst wird betont, dass es sich um einen Lesestoff handelt. Alle haben Manuskripte in der Hand. An Tischen werden Mikrofone aufgebaut. Dann erklärt eine Art Programmleiter, was gleich gespielt wird. Auf der Bühne sieht’s aus wie in einem Rundfunkstudio. Im Sitzen lesen die Schauspieler mit verteilten Rollen, schauen unbeteiligt. Einer erhebt sich stocksteif. Man erwartet einen langweiligen Abend.

Die blaue Uniform mit Goldknöpfen

Die Handlung beginnt mit dem Auftritt eines jungen blonden Mannes. Er nimmt eine blaue Uniform mit Goldknöpfen aus einem Glaskasten im Hintergrund, legt sie an. Sie spannt etwas. So ausstaffiert, setzt er sich auf einen Stuhl in der Mitte und benimmt sich wie auf einem Fest. Die Lesung hinter den Mikrofonen läuft weiter, er macht zunächst nur Pantomime dazu. Im Verlauf der Inszenierung verlassen einzelne Spieler die Tische und schlüpfen in Rollen, die anderen lesen weiter den Text. Nur die Dialoge werden richtig gespielt. In den Prosapassagen verharren die Spieler, deuten Mimik und Gestik allenfalls an.

jW-Probeabo

In dem Roman folgt ein Soldat in einem Provinzstädtchen der Einladung einer reichen Familie zu einer Abendgesellschaft, wo er die Tochter des Hauses zum Tanz auffordert. Ein Fauxpas. Sie ist gelähmt, was alle außer ihm wissen. Überstürzt flieht er aus dem Schloss. Später nimmt die Tochter seine Entschuldigung an, es kommt zu regelmäßigen Besuchen, bei ihm eher aus Pflichtgefühl und Mitleid, doch sie verliebt sich. Ihm ist jedes Gefühlsleben abtrainiert worden. Außerdem liegt es außerhalb seiner Vorstellungskraft, für eine »Lahme« zu entflammen. Als sie sich ihm offenbart, ist die Katastrophe unvermeidlich. Sie berührt seine Hand, er lässt es geschehen. »Nie vorher und nie nachher wurde jemals seine Hand mit so viel Hingabe und dem völligen Fehlen von einem bestimmten Ziel berührt«, heißt es dazu aus dem Off.

Die Frau mit der Behinderung – selbstbewusst und modern

Die Sprache ist so ausgefeilt wie die Psychologie der Charaktere, die Frau mit der Behinderung erscheint selbstbewusst und modern, hochaktuell sind Kriegswarnung und Analyse des Menschenfeindlich-Militaristischen. Verfasst wurde der Roman 1939, er spielt zu Beginn des Ersten Weltkriegs, wirkt aber wie heute geschrieben. Mit der Zeit nimmt man Tische und Mikrofone nicht mehr wahr, imaginiert einen nächtlichen Wald, das Schloss mit seinen Balkonen, den Rollstuhl – die Dramatik reißt einen mit. Es steckt viel Politisches in dem Stück: Kritik am Militarismus als einer absurden Flucht vor starken Gefühlen, vor Verantwortung, vor sich selbst. Soldaten haben kalt und gehorsam zu sein.

Vorkriegsgesellschaft wie im Brennglas

In der Figur des Schlossherrn wird ein typischer Aufsteiger beschrieben, dem als jüdischer Waise kein anderer Weg offenstand. Antisemitismus wird gezeigt, die Vorkriegsgesellschaft wie im Brennglas kenntlich gemacht. Die Stimmung im Stück erinnert an den Film »Das weiße Band«. Am Ende zeigt ein Bild im Hintergrund die abgebrannten Bäume von Verdun. Man sieht Soldaten in Filmsequenzen stolpern und fallen. Am Ende steht der Soldat selbst mahnend in dem Glaskasten, dem er zu Beginn seine Uniform entnommen hat. Nun ist sie blutig. Man ist wieder im Rundfunkstudio, das Stück ist aus. Eine Mahnung gegen den Krieg, die viel erklärt. Experiment gelungen. Große Empfehlung!

3 Antworten auf “Ungeduld des Herzens – Rezension

  1. Sehr geehrte Frau Röhl

    Ich bin ein englischer Journalist, der in Berlin wohnt. Ich schreibe einen Artikel über die Leben Ihre Mutter und ich frage mich, ob Sie möchten dieser Woche darüber sprechen?

    Mit freundlichen Grüßen

    Sean Williams

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