Verbrennungen – von Wajdi Mouawad – Rezension

wajdi-mouawad-ich-bin-eigentlich-kein-theatermann-wajdi-mouawad-ich-bin-kein-theatermannAuf der schwarzen Bühne ist vorne auf einem Gestell eine Leinwand aufgespannt. Auf ihr ist undeutlich Asche in Schwarzweiß wahrnehmbar. Davor steht ein Mann, der sich unterhält – allerdings ist kein Gegenüber zu sehen. Zunächst erzählt er viel Unwichtiges, übers Wetter, über das Gebäude, in dem er sitzt. Dabei erfährt man den Ort, an dem er sich befindet: westliche Großstadt, Quebec, Kanada. Anscheinend geht es um den Tod einer Frau, anscheinend ist er der Notar, der an die Kinder ein Testament übergeben will. Dann Auftritt zweier junger Leute. Der Notar hat eine Kiste. Er breitet Briefe auf dem Tisch aus, sie werden auf der Leinwand sichtbar. Die Kinder, Zwillinge, sollen die Briefe an sich nehmen, sie nicht öffnen und einen an ihren Vater und einen an ihren Bruder im Libanon übergeben. Bis dahin soll die Mutter, die ohne Sarg, mit dem Gesicht zur Erde begraben werden wollte, keinen Stein auf ihrem Grab haben.

Die beiden Kinder (sehr gut gespielt von Therese Rose und Kostja Ullmann) reagieren mit Unverständnis. Der Sohn, ein Freizeitboxer, ist außer sich: » Einen Scheiß mache ich, hat sie sich nicht genügend in unser Leben gemischt? Muß sie uns auch nach ihrem Tod noch Ärger machen?! Sie ist verrückt, Mann, sie hat fünf Jahre nie ein Wort zu uns gesagt, nie ein Wort!« Die Schwester, ein Mathegenie, sieht man später in der Uni dozieren. Erst durch ein mathematisches Gesetz, das dem Publikum vorgeführt wird, beginnt sie darüber nachzudenken, daß etwas Unlogisches trotzdem wahr sein könnte. Also macht sie sich auf den Weg und zieht den Bruder mit. Und so stoßen die beiden Schritt für Schritt durch eine Geschichte in das ihnen unbekannte Leben der Mutter vor. Was sie dabei enthüllen, nimmt einem den Atem.

Es ist eine Geschichte, die mit dem Film »Waltz with Bashir« vergleichbar ist, und für die der Francokanadier Wajdi Mouawad 2005 den »Prix Molière«, den höchsten Theaterpreis Frankreichs bekommen sollte, aber nicht annahm, weil er dagegen protestrieren wollte, daß Theaterdirektoren sich gegenüber Gegenwartsstücken meistens gleichgültig zeigen.

Das Stück heißt »Verbrennungen« und läuft jetzt im Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg, inszeniert von Albert Lang. »Der Text«, so Mouawad im Programmheft, »ist aus der Gruppe heraus entstanden«, zusammen mit den Schauspielern, und »Schritt für Schritt bis zum letzten Wort durch mich hindurchgegangen«. Für ihn wurde die Bühne dabei zum »Ort des Trostes«. Denn den Zwillingen zeigt sich ein vom Bürgerkrieg völlig verwüstetes Land mit Menschen, die auch seelisch zwischen Ohnmacht und Barbarei leben. Doch »die Elenden, in Marx’ Worten, wissen Auswege, (…) das Erbe des Unverhofften (…) sich durch die eigene Ohnmacht nicht dumm machen lassen« heißt es im Programmheft.

Die Mutter der Zwillinge hatte fünf Jahre geschwiegen und kurz vor ihrem Tod nur einen Satz gesagt: »Jetzt, da wir zusammen sind, ist es besser.« Den Kindern war das unverständlich geblieben. Doch auch dieser Satz, der ein Gegenbild der Hoffnung darstellt, sowie die eigenartigen Anweisungen des Testaments und all die unverständigen Verhaltensweisen der Mutter, enthüllen sich erst in der allerletzten Szene. Da wird alles zu einem erklärenden Bild, gleichzeitig sitzen alle zusammen. Das Publikum schweigt, ist wie vom Donner gerührt.

Trotz Krieg und Elend kommt die Regie ohne Blut aus. Es wird nicht gebrüllt, die Requisite ist sparsam, die Kostümierung geradezu neutral. Eine großartige schauspielerische Leistung aller sieben Darsteller, die etliche Rollen spielen, die Verzahnung von Gegenwart und Vergangenheit mit Bravour hinbekommen und von einer Musik begleitet werden, die im Hintergrund auf Eimern und Gebrauchsgegenständen gespielt wird. Bestes episches Theater. Eine Art moderne Mutter Courage. Das Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg ist über sich selbst hinausgewachsen.

Nächste Vorstellungen: Bis 27.3. täglich, 19.30 Uhr

Wajdi Mouawad: Geboren 1968 im Libanon, ist er mit acht Jahren mit seinen Eltern nach Frankreich ausgewandert, und von dort 1983 nach Québec, Kanada weiter gezogen. Dort erhielt er eine Schauspielausbildung an der „École Nationale de Théâtre du Canada“, gründete und leitete ein Theater in Montréal und avancierte zu einem der führenden neuen Talente im frankokanadischen Sprachraum. Unter dem Titel „Incendies“ wurde Verbrennungen 2003 in Montreal uraufgeführt. Als zweiter Teil einer geplanten Tetralogie ist es jetzt ins Deutsche übersetzt worden. Für den ersten Teil („Littoral“ – „Küstengebiet“) erhielt Mouawad 2005 den Prix Molière als bester frankophoner Autor. Europäische Theaterfestivals wie das Festival d’Avignon oder die Bonner Biennale haben Wajdi Mouawad schon vor Jahren als Impuls gebenden jungen Autor wahrgenommen. Mit der deutschsprachigen Erstaufführung von Verbrennungen wurde er auch in der deutschen Theaterszene bekannt. Wajdi Mouawad wurde zum künstlerischen Berater für das Festival d’Avignon 2009 ernannt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert