Kinder in den Hamburger Kammerspielen – Rezension

Die Autorin Lucy Kirkwood möchte, das merkt man, in ihren Stücken politische Themen verarbeiten: Umweltprobleme (»Moskitos«, 2017), Kernkraft (»Die Kinder«, 2016), Prostitution (»Erst war es leer ohne Herz, aber jetzt geht’s wieder«, 2009). Gleichzeitig möchte sie Beziehungs- und Coming-of-age-Probleme thematisieren. Beides, Politisches und Persönliches, zu verbinden scheint ihr das Wesen eines Theaterstückes zu sein. Aber was ihr mit dem Drama zum Frauenhandel noch glückte, funktioniert bei »Die Kinder« nicht.

An den Hamburger Kammerspielen hat sich Sewan Latchinian dieses Stoffs angenommen. Latchinian, der 2015/16 als kämpferischer Intendant des Volkstheaters Rostock entlassen worden war, was Ende 2018 vom Bundesgerichtshof für rechtswidrig erklärt wurde, ist seit gut einem Jahr Leiter der Kammerspiele. Für »Die Kinder«, das am 6. September Premiere feierte, setzt er den Schauspieler Mathieu Carrière ein. Obwohl das Dreiergespann aus ihm, Marion Kracht und Marion Martienzen wirklich glanzvoll spielt, bleibt die Vorstellung blass.

Das liegt vor allem am Stück selbst: Ein Erdbeben samt Flutwelle hat in einem Atomkraftwerk an einer Küste Europas zum GAU geführt. Die Eheleute Hazel (Kracht) und Robin (Carrière), die den Reaktor als Ingenieure mit aufgebaut hatten, leben seit der Katastrophe in einer provisorischen Behausung nahe der Sperrzone. Auf einmal steht Rose (Martienzen) vor ihrer Tür, eine frühere Freundin und Kollegin, zu der sie seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr hatten. Sofort wittert Hazel Gefahr, denn Robin und Rose hatten mal eine Affäre.

Rose will ihre früheren Freunde überzeugen, in den Reaktor zurückzukehren, damit dort nicht länger die jungen Leute hilflos versuchen müssten, das Leck zu stopfen. Es entspinnt sich eine Diskussion darüber, dass die Alten doch die Verantwortung tragen müssten, da sie besser Bescheid wissen und sowieso bald sterben. Dieses Thema verschwindet aber vollkommen hinter dem Ehe- und Eifersuchtsdrama, das sich zwischen dem Dreiergespann in endlosen Dialogen hinzieht.

Latchinians Inszenierung und die Ausstattung (Stephan Fernau) greifen eigentlich mit guten Ansätzen Fukushima, die Diskussion um »Fridays for Future« und sogar die aktuelle Pandemie auf. Die Bühne ist als Haus angelegt, das sich mit der Außenwelt in einer Art Feindschaft befindet: nur kleine, von innen mit Bleiabdeckungen geschützte Fenster, kein Tageslicht dringt hinein, der Mann kommt mit Schutzanzug von einem Ausflug »von den toten Kühen« zurück. Gift ist überall, Wasser knapp, und der Geigerzähler liegt auf der Heizung. Die Hausfrau wischt und putzt dauernd, desinfiziert, muffelt herum.

Latchinian verzichtet auf Medien (es muss Elektrizität gespart werden), auf Raumwechsel (es gibt keinen anderen sicheren Ort), und schafft damit etwas Beklemmendes, was sowohl die Umweltsituation als auch die Ehesituation gut charakterisiert. Die ehemalige Geliebte hat Nasenbluten, ihr fehlen nach einer krebsbedingten Amputation beide Brüste. Jedoch scheint das alles kein besonderes Thema zu sein, statt dessen wird der Ehebruch wichtig und der Mann als Hahn im Korb inszeniert, den beide für sich noch einmal irgendwie, wenigstens verbal erobern wollen.

Die Dialoge wirken dabei hilflos, flach, künstlich. Die Sprache bleibt auf einer seltsam unpoetischen Ebene des Alltags stecken (»Wenn du nicht bereit bist zu leben, dann lebe nicht!«), wird nie durch Witz gebrochen, es baut sich kein Handlungs- oder Spannungsbogen auf, das Stück nimmt sich selbst als Ehedrama viel zu ernst. Dabei verblasst die Umweltproblematik, sie wird zum Zusatz, zum Beiwerk, zur Kulisse. Schade!

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