Antigone in Greifswald Rezension
30.10.10 / jw S.13 / Feuilleton
Gelungene Antigone-Aufführung in Greifswald: Kritisch, eindrucksvoll, deutlich, aufmüpfig.
Auf der Ankündigungspostkarte eine anonyme Person in einem schwarzen T-Shirt, auf dem man zunächst „Anti“ liest, darunter „gone“, das T-Shirt erinnert entfernt an G-8-Proteste. Dann die Überraschung, dass die Antigone keine ätherische Person ist, im langen Gewand, die sich leidend immer wieder über den Leichnam des Bruders wirft, sondern eine typisch jugendliche Protestfigur der Oberschicht, leicht punkig angehaucht, nicht übertrieben, die kostümbildnerische Neuzeitlichkeit nicht überstrapaziert, durch Hellfarbigkeit dennoch der Oberschicht zugehörig, gibt hier Anja Taschenberg eine kämpferische Antigone, der man ihre Rolle, die ja schließlich bis zur lebendigen Einmauerung führt, viel stärker glaubt, als einer bloß leidenden.
Eine Frau wird stark gegen die Macht
Und während sie sich ursprünglich nur für ein wenig private Menschlich-keit gegen staatliche Macht einsetzte, sich ja auch schon wieder auf dem Weg zurück ins System befand, plante sie ja den eher angepassten Herrscherssohn zu ehelichen, wird sie nun, durch die Rigidität und Sturrheit des Machthabenden in eine Rolle gedrängt, die auf Tod und Leben geht und in der sie sich als eine mutige und starke Frau immer entschiedener der Macht entgegenstellt. Sie meistert das großartig, glaubwürdig, überzeugend. Anja Taschenbier fiel mir auch schon in der Thomas-Bernhard-Inszenierung durch die Echtheit und Unmittelbarkeit ihres Gefühlsausdrucks auf, sie ist neben der Eva-Maria Blumentrath (Mutter Courage, Kleiner Mann-was nun, uw.) die zweite große, junge Charakterschauspielerin am Theater Vorpommern.
Nicht zur Verräterin machen lassen
Zu Beginn sieht man eine schwarze Wellblechwand mit einer krakelig-weißen Namensaufschrift, wie sie Widerständler sprühen: POLINEIKIS – steht dort und hektisch wischt ein weißer Mann mit Knöpfen im Ohr und Rücken zum Publikum, es ab, einem Wachmann nicht unähnlich, wirkt er wie ferngesteuert. Als er abgeht, tritt Antigone mit einem Wutschrei auf und sprüht den Namen neu. Ismene kommt hinzu, traut sich nicht mitzumachen, obgleich sie denselben Wunsch verspürt, dem Bruder einen würdigen Tod zu ermöglichen. Resigniert sagt sie: „Wir sind die Letzten!“ Dem entgegnet Antigone aufrecht und trotzig: „ Ich lass mich nicht zur Verräterin machen!“ Ein gut getroffener Ausdruck, denn klar wird, nicht wichtig ist es mehr für den toten Bruder, den Geiern zum Fraas hingeworfen zu sein, um so wichtiger aber für die Schwester, gezwungen zu werden, diesem tatenlos zusehen zu müssen, denn dadurch verrät sie ihre Geschwisterliebe, als habe es die nie gegeben. Es wird zwar von göttlichen Geboten gesprochen, deutlich aber wird, es sind die menschlichen Gebote, die hier zur Debatte stehen. Gezwungen, gleichgültig auf das schauen zu müssen, was sie nicht gleichgültig lassen kann, wenn sie ihn je liebte, muss sie nicht nur sich selbst vergewaltigen, sie verweigert auch ein derart unehrenhaftes Exempel als Vorbild abzugeben. In der Auseinandersetzung mit ihrer Schwester kämpft Antigone ausdrucksstark: „Sag mir, welche Demütigung unserer Familie noch nicht zugefügt wurde, ich weiß keine, was ist also das Leben? Nichts. Nur die Todesnacht ist ewig!“ Ismene dagegen: „… aus Pflichtgefühl zur Verbrecherin werden?“
Überlebende, Kriegskrüppel, Mutter mit leerem Kinderwagengestell
Der Regisseur (Tobias Sosinka) hat bei seiner Neuübersetzung bewusst nicht auf die Hölderlinversion zurückgegriffen, denn es galt den 2000-jährigen Abstand nicht durch den 200-Jahresabstand zu verkleistern, er wollte es unmittelbarer in unsere Zeit übertragen. Das ist gelungen, die Sprache ist klar, nicht übertrieben modernistisch, getragen, schön und gut verständlich, das Zielpublikum `Jugend´ könnte erreicht werden. Die Wellblechwand wird hochgezogen, eine eiserne Herrschertreppe erhebt sich aus einem nur durch einen Vorhang angedeuteten Trümmerfeld. Bühne und Anordnung des Volksbildes sind eindrucksvoll: Überlebende Kriegskrüppel, eine Mutter mit leerem Kinderwagenuntergestell, angeschlagenes Volk, nachkriegszusammen-gesuchte Klamotten, ein zerrissener Vorhang allein deutet eine zerstörte Stadtsiluette an. Kreon tritt auf. Er und alle Mitglieder der herrschenden Oberschicht tragen hell, elegant, sauber, sie schreiten oder stürzen über die einzige Treppe, die mit unwirklich türkiser Beleuchtung belegt wird, die sich drum herum in tiefes Flaschengrün verwandelt. Volk und Herrschende werden dialektisch einander gegenübergestellt, das Volk in dunklen Stoffen, verbunden, verstört, bindet sich gern an den Mächtigen, der Hilfe verspricht aus der Unordnung, woher sie kommen. Kreon verspricht nie wieder Korruption und Vetternwirtschaft zuzulassen, so motiviert sich schon im Voraus die Härte gegen seine Familie. Sehr schön ist die Choreografie der Euridike, die immer wieder versunken das nackte Kinderwagengestell streichelt, Katja Klimt gibt ihr einen tiefen Ausdruck von der Sinnlosigkeit und Grausamkeit aller Kriege. Die Szene des Boten, der durch Überbringung der enthüllenden Nachricht um sein Leben fürchtet, wird witzig und ebenso herrschaftsentlarvend von Christian Holm gegeben, der köstlich den Soldaten der Grusche im Kreidekreis spielen könnte, so bildreich- sprichworthaft philosophiert er. Die Musik der Chöre, vom Volk gesungen, komponiert von Andreas Kohl, ist passend. Sie hat einen düsteren Anklang ins Antike, der durch die schöne Obertonstimme der Ismene (Elke Zeh), die dem eher traurigen Gesang etwas in die Zukunft weisendes gibt, leicht gebrochen wird. Ebenso ist das Bühnenbild gelungen, es verbindet durch Farbe und Beleuchtung mit seinem dunklen Flaschengrün, das die Farbe der Tiefsee hat und für das Volk steht und den helleren, eher türkisen Flecken mit der leuchtenden Herrschertreppe in der Mitte, das Gefühl eines Versinkens in 2000 Jahre alte Abgründe und schafft damit ein Gefühl von Geschichte, die sich bis heute ausspannt.
Pflichtprogramm für Politiker
Diese Antigone hat jedenfalls klar gemacht, dass die Klassik des Alterums noch längst nicht überholt ist, ebenso auch, warum sieben Stücke eines Autors, der vierhundert Jahre vor dem Beginn des Christentums lebte, uns immer noch wirklich etwas sagen können. Diese Aufführung hier müsste für die Stuttgarter Bahn-21-Projekt-Politiker Pflichtprogramm sein, die dort mit der Sturrheit von Kreon die Sache immer ärger gegen den Baum fahren. Sophokles hat das Stück nicht zuletzt allen Herrschern zur Mahnung geschrieben, nicht erst, wenn es zu spät ist, nachzugeben
Weitere Aufführungen: www.theater-vorpommern.de