Phädra und Kontrakte: Hamburgs Kulturprotest auf dem Theaterfestival – Rezension
23.10.10/jw feuilleton
In Hamburg geht es hoch her: Kulturprotest im Theater
Harmlos reise ich in Kultur und erlebe in Hamburg wütende Protestierer von Altona bis zur Staatsoper und wo die Stuttgarter sich Nacht für Nacht am Bahnhof versammeln, so gehen die Hamburger erst ins Thalia-Theater und anschließend auf der Straße und führen tolle Solidaritätsspektakel durch. Unter dem Motto: “Hey Stuth, don’t make it bad” zeigte Hamburgs Kultur klassenübergreifend fröhliche Geschlossenheit gegen die Sparpolitik des Senats, die beschlossen hat, ein Theater durch Kürzungen an die Wand zu fahren, ein Museum zu schließen und die öffentlichen Bücherhallen kalt zu machen.
Proteste in das Stück eingebaut
Am 7. Oktober lud das Thalia Theater das Ensemble des Schauspielhauses, die Staatsoper, Kampnagel, Künstler des Gängeviertels und das Altonaer Museum zu Gastauftritten im Rahmen der Vorstellung „Die Kontrakte des Kaufmanns“ ein, die für aktualisierende Variationen dieser Art ideal ist. Der Abend wurde zu einer Manifestation der Kraft und Solidarität der Kultur in Hamburg. Regisseur Nicolas Stemann integrierte die Beiträge der Gäste so gut in den Verlauf des Stückes, dass Elfriede Jelinek ihre Freude gehabt hätte, denn die Mechanismen der modernen Finanzwelt wurden dem Hamburger Soli-Kultur-Protest gelungen gegenübergestellt. Anschließend zogen Schauspieler und Publikum zum Schauspielhaus, dass von Schließung bedroht ist, Mitarbeiter des Altonaer Museums, dem das gleiche Schicksal droht, standen mit Protestplakaten auf der Bühne, es wurde gelacht, gesungen und „geschlossen waren die Reihen von Sub- bis Hochkultur, vom Gängeviertel über die Bücherhallen bis zur Staatsoper“, kommentierte sogar das Hamburger Abendblatt.
Protest auch in der Burgtheater-Festivalaufführung
Am 16.10. schaue ich mir dann Phädra an, ein Drama hoffnungsloser Lieb- und Leidenschaften, Highlight auf dem legendären Hamburger Theater-Festival, wo vom Burgtheater bis zum Berliner Ensemble die größten deutschsprachigen Bühnen auftreten, aber selbst da unterbrach der Regisseur des Burgtehaters den Applaus und verkündete eine Protestakklamation. Christoph Ahlhaus (CDU) und Reinhard Stuth (CDU) machen sich also dieser Tage keine Freunde in Hamburg. Das Problem ist, Kultur in Hamburg bemüht sich Nachdenkenswertes auf die Bühne zu bringen, aber nachzudenken ist nicht die Sache der Politiker, sie sind gut im Rechnen und ihre Aufgabe ist es, den Wirtschaftsmagnaten ihre Profite zuzuschanzen und da sind Panzer in Afganistan und Managergehälter wichtiger als Kultur.
Heute sucht der Mensch nach Langlebigem
Die Antike scheint aber derzeit Konjunktur zu haben, in schweren Zeiten sucht der Mensch nach Langlebigem, vielleicht um den Politikern die lächerliche Kürze ihrer Wahlperioden klar zu machen. Das Drama „Phädra“, diesmal aus der Feder des im 17. Jahrhundert lebenden Racine, dem Sophokles (ca. 400 v. u Z.) nur nachempfunden, bringt Leidenschaften auf den Punkt, die wir auch heute noch (manchmal) kennen, es geht um Liebesverwicklungen. Die jugendliche Liebe, die erwidert wird, kann auch gegen Verbote durchgesetzt und ausgelebt werden, sie erhält sich einen aufbauenden, solidarischen, liebevollen Charakter, so kurz sie auch nur dauern sollte. Die ältere Liebe, die vergebens einem Jugendlichen gilt, nicht erwidert wird, dazu noch von einer Frau ihrem Stiefsohn gegenüber, also für eine Frau zu selbstbewusst, also hexenähnlich, beinahe blutschänderisch, also undurchführbar, verboten, ehebrecherisch, wird durch Unterdrückung und Selbstbeschuldigung zum Wahn, der Eifersucht, Verrat, Verleumdung, Mord und Totschlag nach sich zieht.
Schattenrisse – kein Gott, der Mensch steuert
Das Burgtheater hat den Stoff stark in Richtung dieser beiden Liebesformen polarisiert, schwarz und weiß ist die Bühne, der Vorhang ist ein in der Mitte der Bühne drehbares Brett, auf dessen Weiß sich die Figuren mal als antike Schattenrisse, mal als verzerrte Nebelfiguren zeigen. Die Hauptperson, Phädra, von Sunniy Melles mit starkem hysterischem Einschlag gespielt, zeigt uns, was die Macht und Fähigkeit einer verbotenen Liebe, in Zusammenhang mit Nicht-Erwiderung Zerstörerisches anrichten kann. Sitzt hier die Wurzel von allen Bösem? Man könnte, wenn die Welt rein psychologisch sein würde, auf diese Idee kommen. Die Macht und Schönheit der erwiderten Liebe jedenfalls unterliegt hier und scheint bleich und blass dagegen. In der Antike steuerten dies die Götter, bei Racine war es die Kirche, die Aufführung macht gut deutlich, dass es hauptsächlich der Mensch selbst ist, der hält und steuert und seine an sich schönen Leidenschaften ins Abseits der Zerstörungen führt.
Sparsame Bühne, kaum Kostüm
Das Stück wird sparsam gegeben, keine Bebilderung, keine Musik, nur das Heulen des Windes, das Rauschen des Meeres, keine Kostüme, die Personen scheinen in ihren Alltagskostümen aufzutreten, die sie zufällig angetan hatten, keine Bühnenbild, nur ein drehbares Brett, schwarze und weiße Umrandungen. Doch um so stärker erheben sich die Gefühle und behaupten ihre Gestalt ohne Kitsch und Pathos. Leider, wie so oft an großen Bühnen, deren Namen schon Programm ist, ragen einige der Burgtheater-Schauspieler großartig heraus, andere nimmt man kaum wahr. So geht’s einem hier mit den beiden Frauen, Önone und Phädra hätten das Stück allein bringen, die Männer mit Masken spielen können, denn diese fallen deutlich gegen sie ab, Hippolitas gibt nur immer den schüchternen, der sich zum Tausendsten mal an seine Haare greift, seine Körpersprache bleibt zu eintönig, den Hauslehrer vergisst man ganz, er bleibt viel zu blass, der Vater Theseus kann die Verzweiflung, die ihn doch endlich mal ergreifen müsste, nicht glaubhaft rüberbringen, ebensowenig wie die Wut. Trotzdem ein schönes Stück, das eindringt und durchdringt, ein Stückchen vom „gefrorenen Eis“ zu lösen vermag in den Menschen und nicht langweilt. Auf nach Wien, empfehlenswert!