`Einfach kompiziert´ Berliner Ensemble und Wiener Burgtheater – Rezension

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Thomas Bernhards Stück  “Einfach kompliziert” ist dem BE (in der Regie von Bernhards Lieblings-Regisseur Claus Peymann) sehr gut gelungen, nun ist Bernhard sowieso einer der Größten, aber das Stück hat Bernhard auch auf Gert Voss zugeschnitten, einen legendären Bernhard´schen Lieblingsschauspieler. Peymann und Voss geben hier in ihrer Wien-Berliner Ko-Produktion ein Stück, dass man nur als absolut gelungen bezeichnen kann. 

Das Bühnenbild ist ein einfaches Armeleutezimmer, realistisch, es steht für etwas Schonungsloses, die Wahrheit, die hier Thema ist: ” …er wolle es  nicht noch mal weißen vor seinem Tod”. Der alte Mann, ein ehemaliger Schauspieler, der fast nur monologisiert, philosophiert, mit dem Publikum um seine Lebensbilanz streitet, brüllt dabei glücklicherweise nicht stundenlang ins Publikum, wie es so oft im deutschen Regietheater anödet, sondern variiert seine Haltung auf vielfältigste Weise, so dass man nicht bemerkt, dass es sich einzig um einen Monolog handelt. 

Man hört die Gedanken durch den Kopf rasen

In der Ecke eines schrägen, ärmlichen Zimmers hockt zu Anfang ein Greis und versucht etwas gegen Mäuse zu unternehmen, eine Leiste anzunageln, dazu murmelt und spricht das eine oder andere,  das ist das Stück. Dabei hört man die Gedanken, die durch seinen Kopf rasen, hört sie mit derselben Geschwindigkeit, mit der man selber denkt. Auch in der Art wie eben Gedanken im Gegensatz zu Adressaten bezogenen Sätzen, nämlich assoziativ verschlungen sind. Hier geht es um einen Menschen, der alt ist und auf sein Leben zurückblickt, dass schon in der Kindheit damit begann, dass man ihn beschimpfte und ausgrenzte und ihm die Mutterliebe fehlte und er daraufhin den Menschen, in Art eines Misanthropen scheinbar misstrauisch gegenüber geworden ist und ihm schließlich nur gerade eben noch Vertrauen zu Kindern (ein neunjähriges Milchmädchen (Josanna Probst) geblieben ist.

Lange nicht renoviert, selten beheizt

Es ist ein Dostojewki´sches Zimmer, Tisch, zwei Stühle, Tür, in der Ecke ein Bett, dahinter  diskret eine feucht-schimmelnde Wand. Wenig herumliegende Utensilien. Lange nicht renoviert, selten beheizt, im allerletzten ärmsten Stadtbezirk, billigste Miete. Der Mann ist allein: „Die Mäuse sind übrig geblieben, alle anderen sind weggestorben“ Der Mann wartet vielleicht auf jemanden, denn er beschwert sich über jemandes Unpünktlichkeit, sagt dann Sätze, die wie eingefräst klingen:   „ Entweder wir verkommen, oder wir sind pünktlich!“ Er erwidert einer fiktiven Person, er verteidigt sich: „ Alle verkümmerten,  ich nie…hab aus Verzweiflung Genie gemacht…ich bin kein Idiot, ich bin renitent, aber kein Idiot!“ Man sieht nun Thomas Bernhard im Geiste selbst vor sich und Unzählige, für die seine künstlerischen Worte stehen, allein gelassen, ungeliebt, herumgestoßen, beschimpft, verjagt, verstoßen und dies sich von da aus durchs Leben quälen, mit dem Wunsch dieses nicht an ihren Mitmenschen wiederholen zu müssen, bzw. wenigstens dafür zu sorgen, dass bewusst wird, wo es geschieht, wie es geschieht, warum es geschieht und mit welcher Folge: „Immer die Rolle des Unglücklichmachers gespielt!“ Aber nicht nur das, auch Widerständigkeit entsteht so, wer nicht gebrochen wird, erstarkt. Der Alte, der die Mäuse sucht, ist stark geworden in seinem einsamen Kampf, seine Kraft wirkt durch seine Würde. Gerade weil er nichts hat und arm ist, aber weise, ist er nicht gebrochen, sondern sogar sehend geworden. Man meint, ihn Thomas Bernhard selbst durch seinen Mäusebekämpfer zu hören, in seiner maßlosen Wut, die unverblümt dem Spießer den Kampf ansagt: „Ich schrieb Grundsätzliches, wenn sie ihr Schweinefleisch verdauten.“ Und auch hier: „Mit Shakespeare war ich zwei lange Jahre eingesperrt“ (Rückgriff auf seine Sanatoriumszeit) „Ich bin ein Zähigkeitsfanatiker, Gewöhnliches ist mir immer verhasst gewesen, Biertrinker, immer verhasst,…sie haben nicht gedacht, dass ich alles wahr mache, ich bin ein Klarwasserfanatiker…“ er tanzt herum in seiner Bude und lacht, zum Publikum, rechtfertigend, wütend, klar: „ Ich schulde niemandem etwas,..ihr geht euern Weg, ich meinen!“

Individuelles Schicksal und Gesellschaft

Wer Thomas Bernhards Werk kennt, weiß, dass dieses Stück wohl am meisten von ihm selbst enthält, aber auch der Großvater ist drin und der Alte steht für das aus Schmerz gegorene Aufklärungsbedürfnis eines scheinbar alten Wirrkopfs. Gleichzeitig wird das individuelle Schicksal von Ungeliebtheit, als Ausdruck gesellschaftlich harter, unterdrückender Bedingungen bewusst gemacht, als der Sud aus dem sich faschistoide , herrschaftsverherrlichende Machtstrukturen von Unterdrückung brauen lassen.

Vom Großen bis in die kleinste individuellste Zelle, die Mutter-Kind-Beziehung, lassen sich die vergiftenden Bedingungen nach- und zurückverfolgen, von da aus nehmen den Faden Erzieher, Lehrer, Ausbilder, Vorgesetzte auf, die allesamt Teile eines eng geknüpften Netzes sind, dass sich den Menschen um den Hals legt: „Die Kindheit hat uns immer abgestoßen, meine Mutter bezichtigte mich noch mit 67 der Lüge“, er wirft das hin, während er, geniale Sequenz, den Nachttopf rausträgt, den er unter dem Bett hervorholt und durch eine Tür hinter der Bühne in eine imaginäre Toilette kippt, weg mit dem Gift, dem Urin, den sie ihm immer vorwarfen und ins Gesicht schleuderten, der für all ihre Gemeinheiten und Lügen steht, weg damit in die Toilette.

Sie verleumdeten mich – selber denken

Dann brüllt er aus dem Fenster, wo seine Mutter einst für die Straße das Laken aufspannte, dass er schändlich genässt hatte, heraus: „Sie verleumdeten mich, sie drehten den Spieß einfach um, ihr habt mich drei Mal im Thüringer Wald allein gelassen, die große Lüge, die entsetzliche Enttäuschung dieser falschen Heimverschickung. Und dazu: „Wir sind nicht vorbestraft auf die Welt gekommen!“ „Aufklärung!“  Das Stück ist voller Zitate aus den biografischen Büchern Thomas Bernhards. Daraus das Fazit des alten Mannes: Das Schlimmste sei, sich anzupassen, zum Munde reden. Das Beste, selber denken, unabhängig sein, etwas bewegen. In der Art der Alte zu einem Kind, was die Milch bringt, das zutraulich bleibt trotz des Alten angsterregender Merkwürdigkeiten.

Ein intensives, ein rührendes und gleichzeitig störrisches Stück, was einst auf Minetti zugeschnitten war, aber auch mit Gert Voss einen guten Hauptdarsteller gefunden hat und dem großen Nonkonformisten Thomas Bernhard ein würdiges Denkmal setzt.  „Die Veränderbarkeit der Welt besteht in ihrer Widersprüchlichkeit“  / BB

Aktuelle Vorführungen im Berliner Ensemble: 1.10.: 19.30 Uhr, 2.10. und 3.10.: 20 Uhr, fest im Repertoire, nächste: 29.2.12, 20 Uhr

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