Der Untertan im Theater unterm Dach – Rezension

jw Feuilleton / 2.3.12

Entschuldigen Sie, ist das der Sonderzug zu beispielhaften Einsparmöglichkeiten? Berlin-Pankow will bei der Obdachlosenhilfe kürzen. Die Gelder für Kultur im Thälmannpark hat der Bezirk bereits eingefroren. Das selbstverwaltete Theater unterm Dach (TuD) in seinem Besetzeroutfit der späten 80er kann deshalb keine Honorare mehr zahlen.

Als eine von 27 »Pankower Kultur- und Bildungseinrichtungen« hat das TuD eine »Solidaritätserklärung« gegen den Kahlschlag unterzeichnet, die am 15. Februar in der Bezirksverordnetenversammlung verlesen wurde, ohne Ergebnis. Inzwischen hat auch das große Deutsche Theater »sich solidarisch« gezeigt und das TuD zu einem Gastspiel eingeladen. Gegeben wurde am Montag abend: »Untertan. Wir sind dein Volk«, Regie: Anja Gronau, nach dem Roman von Heinrich Mann. Ein Stück für einen Schauspieler, und was für einen! Alexander Schröder heißt er.

Eine Vorstufe des Nägelausreißens

Das Bühnenbild besteht nur aus drei Tischen. Unter einem quält Schröder sich zu Beginn halbnackt durch einen Wust von Kleidungsstücken: Diederich Heßling als Kind in der Fabrik des Vaters, im geliebten Lumpenraum, dann bei den Maschinen, die das Kind nachahmt, lautmalerisch, mit Händen und Füßen. Es noch nicht ganz zurechtgestutzt, aber doch ständig in Furcht vor dem Vater, der es schließlich auch aufspürt und züchtigt, wie meine Mutter es noch erlebt hat: Stockschläge auf die Spitzen der gestreckten Finger. Eine Vorstufe des Nägelausreißens. Erwachsene würden das nur gefesselt über sich ergehen lassen, Kinder halten es in ihrer Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung mit gesenktem Kopf tapfer aus, wenn auch zum eigenen Schaden und dem ihrer späteren Opfer.

Stählt sich im Sinne des Vaters

Der Weg des Untertans aus dem Roman wird Schritt für Schritt nachvollzogen, nach und nach zieht Schröder entsprechende Kleidungsstücke an. In Heßlings Augen ist seine erste Liebe verdammenswert naiv, lieber stählt er sich im Sinne des Vaters im Neu-Teutonia-Bund, dessen Rituale des Trinkbecherführens zum Schreien komisch inszeniert sind. Er verführt seine Freundin, verstößt sie als »unrein« und heiratet eine Millionärin, die den väterlichen Betrieb vor der Pleite rettet. Das Publikum reagiert so empört, als kenne es die literarische Vorlage nicht.

Sein Spiel ist präzise und minimalistisch

Niemand soll sagen, der Stoff sei verstaubt. In diesem sozialpsychologisch meisterhaften Roman hat Mann lange vor Adorno und Mitscherlich den autoritären Charakter in all seinen Facetten ausgeleuchtet. Seine Lächerlichkeit ist so konkret ausgemalt wie die Gefahr, die von ihm ausgeht. Schröder bringt diesen Heßling im anderthalbstündigen Kraftakt als große Kunst auf die Bühne, manchmal tritt er kurz aus der Rolle; spielt eine Schwester, den Vater, Herrn Buck oder den Grafen Wulkow. Sein Spiel ist präzise und minimalistisch, seine Wandlungsfähigkeit enorm.

Ohne regieprotzenden Schnickschnack

Die Inszenierung kommt ganz ohne regieprotzenden Schnickschnack aus. Im Hintergrund läuft kein Videoclip, hallt kein Lautsprecher, wird kein Blut ausgekübelt, keine Nacktheit aufgedrängt. Auf gewollte Jetztzeitbezüge wird verzichtet. Wirklich alles ist auf die historische Charakterstudie fokussiert, die sich als weiterhin exemplarisch erweist. Wie praktisch dieser Zwangscharakter Heßling gerade heute für die Herrschenden ist, wird sehr deutlich. Das kleine TuD muß unterstützt werden, als großes Theater abseits des Mainstreams.
Nächste Vorstellungen: 17. u. 18.3., 20 Uhr, Theater unterm Dach

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