Freischuss in Neukölln – Rezension

31.1.11 / jw Feuilleton

Freischuss Neuköllner OperDas Stück »Der Freischuß«, das gegenwärtig in der Neuköllner Oper in Berlin gegeben wird, ist angelehnt an die bekannteste Oper von Carl Maria von Weber, »Der Freischütz« von Anfang des 19. Jahrhunderts. Geht es bei Weber um einen »Probeschuss«, mit dem sich ein beim Schützenfest Gedemütigter bewähren soll und hiervor große Angst entwickelt, möchte in der Neuköllner Oper ein Outlaw, weiß Gott warum, Polizist werden. Das Stück von Luise Rist (Text) und Jan Müller-Wieland (Musik) inszenierte Gustav Rueb. Er spürt dem Phänomen nach, wie Stigmatisierte danach streben, von der Macht anerkannt zu werden und sich deren Stärke zu borgen, die sie sich dann wie einen Panzer überstülpen. So lassen sich Karrieren im Militär oder bei der Polizei machen, und so lassen sich Aufsteiger gegen diejenigen instrumentalisieren, die sie daran erinnern, wo sie selbst einstmals gestanden haben.

Von Dämonen seiner alten Peer group verfolgt

Doch die Rechnung geht nicht auf. Der Junge aus dem Neuköllner Rütliviertel fängt an zu rebellieren. Zu Anfang sieht man, wie eine Hochzeitstafel der besseren Gesellschaft eingedeckt wird. Der Schwiegervater in spe ist ein Herr der besseren Gesellschaft, später wird er den Polizisten wie einen Kloputzer behandeln. Zunächst eine Rückblende, Neuköllner Junge und Berlin-Mitte-Studentin treffen sich am Bahnhof , und was erst wie Anmache aussieht, wird im Nu Verliebtheit, dann Heiratswunsch. Damit einhergehend löst sich der Junge aus seinem angestammten halbkriminellen Milieu und absolviert seine Polizeiausbildung. Sehr gut getroffen ist hier der Ausbilder, der entfernt an den Sergent Waurich von Kästner erinnert.  Teil dieser Ausbildung ist durchweg das „Sich-bewähren-müssen“ durch besonders gute Treffsicherheit, immer wieder ist dies die über allem stehende Anforderung und Drohung, logischerweise, glaubt Max (Ilja Martin Schwärsky) sich nicht genügend fähig, da ihm ja die echte Klassenzugehörigkeit fehlt um die Interessen des Staates wirklich „treffsicher“ zu verteidigen. Das weiß auch sein Ausbilder und triezt ihn daher umso schlimmer. Schließlich wird er  von Dämonen verfolgt, er wähnt, alte Kumpels lauerten ihm auf und wollten sich rächen, sein einziger Kontakt in die alte Szene über seinen Freund Tom (Victor Petitjean) ist von starker Ambivalenz geprägt. Mal flüchtet er sich zu ihm und will sein neues, anstrengendes Leben aufgeben, mal bekämpft er ihn so wie sich selbst und seine eigene Klasseninteressen.

Ulrike Schwab hat sehr gut gesungen

Eine interessante Idee, unbemerkt wird hier der Typus des kleinen Verbrechers mit dem des Polizisten in zeitweilige Deckung gebracht. Am Ende folgt etwas unvermittelt die Umkehrung der Rollen, da Max dahinter kommt, dass der Vater seiner Linn (Ulrike Schwab) Chef eines internationalen Frauenhandelsringes  ist. Soweit so gut, doch die Lieder des Freischütz, die hier eins zu eins vom eben noch in der  Neuköllner Unterwelt befindlichen Jugendlichen gesungen werden, erscheinen als ein befremdlicher und eher gewollter Spagat, der das Stück fast ein wenig auseinanderreißt, als beide, Freischütz und Freischuss, dialektisch aufeinander zu beziehen. Dies gibt dem Stück insgesamt, besonders im letzten Drittel, etwas Schweres und Anstrengendes. Sehr gut gesungen und gespielt haben Ulrike Schwab und Viktor Petitjean, letzterer in einem besonders tiefen Bass, Ilja Martin Schwärsky gab einen guten Opernsänger ab, aber die Rolle des Neuköllner Jugendlichen, vom Vater misshandelt, Mutter gestorben, Sehnsucht aus seiner Klasse herauszukommen, die hat man ihm manchmal nicht ganz geglaubt. Gut war das Stück in seinen modernen Teilen, die Einsprengsel der Romantik in dieses Sozialdrama wirkten manchmal allzu bemüht, fast konstruiert.  Vielleicht ist hier der Versuch einer Vermählung auch des Publikums angedacht gewesen, bürgerliches und proletarisches, subproletarisches, doch von der zweiten und dritten Gruppe fand sich nicht einer im Publikum. Sie hätten das Stück nur zur Hälfte verstanden, denn es fehlte eine Übersetzung der klassischen Gesangseinlagen. Das hätte womöglich ein Gefühl von Unzulänglichkeit sicher eher verstärkt anstatt überwinden helfen. Schade.

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