Die Hundeoper – eine Fabel über die Unterwelt Rezension
in junge welt vom 17.11.2009 / Feuilleton / Seite 12
Vor einigen Jahren las ich von den Tunnelmenschen. Das sind Menschen, die im Untergrund von New York leben, daß heißt in U-Bahn-Tunneln und ähnlichem. Obdachlose hausen dort ohne medizinische Versorgung, ohne Tageslicht, ohne Gerichtsbarkeit. Sie überleben trotzdem. Sie bilden hierarchisierte Gemeinschaften von Kleingruppen, die untereinander oft in schlimme Kämpfe verwickelt sind. Die Polizei traut sich nicht in die unübersichtlichen Gangsysteme. Von ähnlichen Wesen handelt die Fabel »Die Stadt der Hunde«, die gegenwärtig an der Neuköllner Oper in Berlin gespielt wird. In der Inszenierung von Mario Portmann treffen sich drei Hunde auf den Straßen Neuköllns, kämpfen miteinander und wüten gegen die Welt.
Die Bude ein Müllcontainer, Kinder wie tote Fliegen an der Wand
Die weiße Hundedame Dilara gehört einem Murat, der sich einen goldenen Audi lieh, dafür geradestehen muß und deshalb keine Zeit mehr hat. Dilara mag eitel sein, doch sie kann sich auch wehren. Als häßlicher Mops ist sie ein typisches Schmusepüppchen und eine Art Ersatzwaffe der Drogendealer, seitdem die Kampfhunde verboten wurden. Angebunden an den Pfahl, wo man sie vergessen hat, schwärmt sie von der Wärme in der türkischen Familien, bevor es Streit um den goldenen Audi gab. Der Dobermann Nero ist ein Fletscher, herrlich karikiert und glänzend gesungen von Fabian Martino. Er findet sich meist eingesperrt in seiner Hartz-IV-Familienwohnung im Rollbergviertel, mit ödem Ausblick aus dem 10.Hochhausstockwerk,. »Die Bude ein Müllcontainer, die Kinder wie tote Fliegen an der Wand, der Fernseher blaat den ganzen Tag…« Nero ist ausgesetzt worden oder abgehauen, nachdem er eins der Kinder angefallen hat. Und dann gibt es noch Schäfer, einen schmierigen Streuner und Ex-Polizeischäferhund, der es zum zugedröhnten Begleiter von Obdachlosen gebracht hat. Als Relikt aus besseren Tagen hält er auf sein gutes Benehmen.
Es eint sie, dass sie keinen sonst haben
Alle drei leben nur so gerade eben noch, schlagen sich aber durch. Sie ernähren sich von Abfällen, giften sich an, aber halten zusammen, wenn es um die Menschen geht, die hinter ihnen her sind. Es eint sie, daß sie keinen sonst haben, der sich aus ihnen etwas macht. Ihr Selbstbewußtsein ist aufgeblasen und in trüben Momenten halten sie nicht viel von sich: »Hätte man mich doch einfach erschossen«, singt Nero. Diese Hunde leben ganz unten, symbolisiert durch ein Gitter, unter das die Hundewesen kriechen. Eine moderne Bremer Stadtmusikantengeschichte im Neuköllner Untergrund zwischen Rütlischule und Flughafenstraße. Die Tierfabelwesen werden weder verkitscht noch erscheint ihr Vermenschlichen kindisch. Den Witz, den manche Szenen haben, kippt nicht ins Komödiantische ab. Wie einst in den Lessingschen Fabeln treten die Tiere als Verkörperung menschlicher Eigenschaften auf. Sie verkörpern das Neuköllner Subproletariertum, Straßenjugendliche mit großen Zukunftsplänen, die schneller zerplatzen als das geklaute Auto gefunden wird.
Die Musik der Sprache der Tiere angenähert
Die Musik ist laut und kämpferisch. Abrupt wechselt sie ins Weiche, wird traurig, zart und hilflos. Sie zeigt wie in einem Kaleidoskop Gefühle einer Neuköllner Nacht. Das 23jährige Wunderkind Sinem Altan hat die Musik geschrieben. Sie besuchte schon mit sieben Jahren die Komponistenklasse an der Bilkent-Universität Ankara und wurde mit 11 Jahren in die Berliner Musikhochschule Hans Eisler aufgenommen. Altan ist es gelungen, die Musik der Sprache der Tiere anzunähern, ohne auch nur ein ganz kleines bißchen kindertümelnd zu werden. Auf dem Nachhauseweg durch die regennassen Straßen der glitzernden Einöde Neuköllns sehe ich wie ein weißer Hund spazierengeführt wird. Ein Mops? Nein, ein anderes Kleinexemplar. Vor der Ampel nimmt der junge Besitzer ihn hoch und trägt ihn über die Straße und streichelt ihn gedankenverloren.
Nächste Vorstellungen: 18.11., 25.11., 2.12., jeweils 20 Uhr