Die Räuber im Gefängnistheater aufBruch
Die Räuber im Freilufttheater Jungfernheide in Berlin
Das 1781 zunächst anonym erschienene, 1782 uraufgeführte erste Theaterstück des Dichters Friedrich Schiller, geboren 1759 in Marbach, schildert die Rivalität zweier Brüder: Auf der einen Seite der von seinem Vater geliebte, intelligente, freiheitsliebende, spätere Räuber, Karl Moor, der das Privileg eines Studiums genießt und dem als Erstgeborenen das Erbe zufallen wird, auf der anderen Seite sein Bruder Franz, der beim Vater wohnt, gern Herr über Haus und Hof wäre , aber als Zweitgeborener nie eine Chance auf das Erbe haben wird. Eine Konstellation, die seit Anwendung dieser klassischen Erbfolge zu fatalen Konflikten führt. Erbfolge bevorzugt Geburt und nie Verdienst. Das ist hier u.a. Thema, wie Franz im Monolog wütend-verzweifelt deklamiert: „Warum bin ich nicht als ein anderer aus dem Mutterleib gekrochen?“ Doch Franz weiß eine Lösung: „Wozu ich mich machen will, bleibt mir überlassen, nur Mut, Franz!“ so redet er sich selbst zu und entwickelt schon im selben Monolog seine teuflisch-intriganten Pläne: „Ich will alles um mich herum ausrotten, weil es mir an Liebenswürdigkeit gebricht!“. So ergreift der Zweitgeborene, Franz Moor, ohnmächtig-wütend ob der Ungerechtigkeit seines Standes, die nächste Gelegenheit, seinem Bruder Karl, dem Erstgeborenen zu schaden. Das geschieht in der Weise, dass er ihn zunächst durch schwerste üble Nachrede beim Vater unmöglich macht und ihn dann durch einen gefälschten Brief derart in den Abgrund stürzt, dass sich nicht nur ein Jahrzehnte andauerndes privates Zerwürfnis entwickelt, sondern der begabte Karl sich auch gesellschaftlich zu einem Ausgestoßenen, einem Räuberhauptmann entwickelt, und am Ende schließlich alle gewaltsam zu Tode kommen.
Das Thema der Vorherbestimmtheit des Lebenslaufs von Beginn an, wird heute nicht mehr durch die Bevorzugung des Erstgeborenen, aber immer noch und verstärkt, durch die gesellschaftliche Klassenlage bestimmt. Auch aus ihr, wie jüngste Untersuchungen zur Bildungssituation von Kindern zeigen, gibt es kein Entrinnen. Viele der Protagonisten des Gefängnis-Theaters können das sicher gut nachfühlen.
Auch die Entwicklung dieser „Räuberbande“, als etwas Gerechtes geplant, gegen eine knebelnde Oberschicht und Diktatur gerichtet, aus Wut und Enttäuschung gegründet, mit der man ursprünglich den Reichen nehmen und den Armen geben will, entwickelt durch immer stärkere Verrohung eine immer grausamere Praxis. Dafür steht der Gegenspieler des Hauptmanns, Spiegelberg, hier sehr ironisch-subtil gespielt von Massimilliano Baß, der die Bande in immer stärkeren Egoismus treibt.
Das Scheitern einer starren, unbeeinflussbaren, strukturellen Bevorzugung des älteren Bruders vor dem jüngeren, wird hier zum allgemeinen Sinnbild für gesellschaftliche Standes-Bevorzugungen, und das Abdriften einer zunächst freiheitsliebenden Auflehnungsgruppe gegen gesellschaftlich Autorität, in grausam-egoistisches Handeln, endet in Mord und Totschlag gegen Kinder, Frauen, Alte und Kranke.
Nichts scheint geeigneter für eine Aufführung mit einer Gefängnistheatertruppe zu sein, und nichts war 1782 bei Erstaufführung geeigneter, einen Skandal auszulösen. Und immer noch haben wir Unterdrückung, klassengesellschaftliche Mauern, Barrieren, Hemmnisse, die über Aufstieg, Chancen, Lebensweg entscheiden und aus all dem heraus haben wir heute schon wieder eine anwachsende Wut, anwachsende Ohnmacht, anwachsende Gewalt. Und deshalb ist das 250 Jahre alte Stück: Die Räuber immer noch zeitgemäß.
Im strömenden Regen und bei lautem Donnern spielte die AufBruch-Gefängnistheater-Truppe im Wald der Jungfernheide-Bühne, das Stück, als ginge es um ihr Leben. Mit Leidenschaft, mit Ernst, mit Tiefe. Der Zorn war sichtbar, der, von dem es im Programmheft heißt: „wie eine vergessene Sehnsucht durch die Zeit geistert“ und der der verlassene, verstoßene Partner jener Träume ist, die an den Schlaf der Welt zu rühren gedachten.
Es ist der Zorn, der den Karl Mohr und seine Räuberbande trieb, der „Flugzeuge in Häuser lenkt, auf Basaran Bomben zündet, die Hoffnung verrät“, und „die Welt nie besser gemacht hat“. Und das wird am Ende allen klar, im Angesicht des Todes….
Und doch, der Ursprung all diesen Unglücks war eine furchtbare, himmelschreiende, reale Ungerechtigkeit, aus der Bosheit, Unglück, Mord erwuchs. Und wie der nur 23 – jährige Friedrich Schiller, heimlich, im Krankenbett liegend, im Vorfeld der französischen Revolution im biederen Deutschland, dieses geniale Stück schreiben konnte, von dem er sagte: „Wir wollen ein Buch machen, das durch den Henker absolut verbrannt werden muss“, das lässt, wie Thomas Mann es im „Versuch über Schiller“ beschreibt, den „Mund offen stehen vor Staunen“.
Zur Interpretation des Klassikstoffes in dieser Aufführung ist zu sagen:
Wunderbar auf heute bezogen, mit Zitaten von Thomas Köck, Louis Paul Boon und Ulrike Meinhof. Wunderbar mit Liedern ironisiert, das Pathos ständig gebrochen und obwohl in traditionellen Kostümen, völlig neuzeitlich, mit heutigen Typen gespielt. Herausragend: Als Hauptmann: Christian Krug und Moussa, als der bis in den Tod treue Schweizer: Sadam, dann die drei, die Franz gespielt haben: Matthias Blocher, Michael, und dabei besonders gut: Para Kiala. Alles in allem: Grandios! Beste Bewertung! Immer wieder Gefängnistheater! Einziger Hinweis: Die Vorliebe für gleichzeitiges Sprechen mehrerer Personen bitte unbedingt sparsamer einsetzen!