Golem in der Neuköllner Oper
jw/Feuilleton/ 26.6.15
Die Oper »Der Golem« hat der rumänische Komponist Nicolae Bretan schon 1924 geschrieben, vergangene Woche wurde sie nun zum ersten Mal in Deutschland aufgeführt – in der Neuköllner Oper in Berlin, inszeniert von Paul-Georg Dittrich.
Bretan (1887-1968) wuchs als Rumäne in Österreich-Ungarn auf, genauer gesagt in Transsilvanien, auch Siebenbürgen genannt. Er schrieb seine Opern in Ungarisch, Rumänisch und Deutsch. Seine Musiker- und Komponistenkarriere verlief zunächst vielversprechend, doch dann wurde er als ein in Ungarn beliebter Komponist in Rumänien geächtet. Als das faschistische Ungarn 1940 Transsilvanien annektierte, wurde die gesamte Familie seiner jüdischen Frau nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Als Komponist nicht mehr in Erscheinung getreten
Nach dem Krieg überwarf sich Bretan mit den Kommunisten in Rumänien, 1955 schrieb er noch ein Requiem und trat danach als Komponist nicht mehr in Erscheinung. Seine Opern und Lieder sind auf CD erhältlich. Als die Neuköllner Oper seine 92jährige Tochter Judit Bretan um Erlaubnis fragte, den »Golem« aufzuführen, freute die sich sehr.
Der Name “Anna” mehrfach an der Wand
Die Oper beginnt mit einer Filmaufnahme über der Bühne. Sie zeigt eine unruhig schlafende Frau in einem Bett. Links darunter, in einem dunklen Stall, schreibt der Golem, der wie ein lehmverschmierter Knecht ausschaut, mit Kreide den Namen »Anna« mehrfach an die Wand. Rechts der Bühne ist ein Arbeitszimmer hell erleuchtet. Der Rabbi Löw (James Clark) brütet über einem Manuskript, während hinter ihm sein Gehilfe mit Fläschchen und Wässerchen hantiert. Zwischen diesen beiden Räumen geht es in ein Zimmer, in dem man die Frau im Bett aus der Filmszene erkennt. Hinten in der rechten Ecke, etwas getrennt von ihr, befindet sich das kleine Orchester. Ich mag es, dass in der Neuköllner Oper das Orchester stets übersichtlich ist, das macht die Musik intimer, auch klarer zu verstehen.
Es treibt sie etwas, sie weiß nicht was
Bretans Lieder sind spannungsvolle Sehnsucht, spätromantisch. Die Lieder treiben die Handlung an: Der lehmverschmierte Knecht liebt die darbende Frau in dem sauberen Bett. Und sie ihn auch. Heimlich schleicht sie zu ihm in den düsteren Stall. Es treibt sie etwas, sie weiß nicht was. Dann flieht sie wieder in ihr Bett. Ulrike Schwab ist als Anna sehr lasziv, ihre Stimme ist wunderbar klangvoll. Martin Gerke als Golem ist mächtig, manchmal auch wie blind tappend und hilflos bettelnd, wenn er sich an Anna oder an Löw wendet. Sein Begehren aber ist klar und stark.
Bloß seine Kraft
Zwischendurch will Anna sterben, der Gehilfe rettet sie. Der Golem versteht das falsch. Eins aber versteht er gut: Er geht zu Löw, der ihn erschaffen hat. Er soll ihn endlich doch bitte zu einem richtigen Menschen machen! Der Gelehrte und sein Gehilfe stopfen Papiere in sich rein. Sie leben von den Wörtern, der Golem hat bloß seine Kraft. Er ist halb Mensch, halb Maschine. Ein typisches Problem der Phantastik: Irgendwann will so ein Wesen mehr. Zum Beispiel Kinder machen.
Körperkraft gibt es nicht ohne Bewusstsein
In der jüdischen Mystik ranken sich um den Golem verschiedene Legenden, die bekannteste ist die des Rabbiners Löw aus Prag, der im 16. Jahrhundert einen Golem aus Lehm formte, um die jüdische Gemeinde vor Verfolgung zu schützen. Er sollte deren Hilflosigkeit gegenüber Pogromen mindern, war ausgelagerte Körperkraft, die zum Einsatz kommen sollte, wann immer man sie brauchen würde. Doch Körperkraft gibt es nicht ohne Bewusstsein, sie muss gelenkt und koordiniert werden. Als nun Leidenschaft diese Energie besetzt, entzieht sie sich.
Publikum lacht vor leerer Bühne
Im Stück werden die Sänger immer künstlicher – zu Einstellungen auf den Leinwänden, die man vor- und zurückspulen kann. Am Ende bleiben die Bühnenräume unten leer, und die Sänger verabschieden sich vom Publikum oben auf der Leinwand. Sogar die Bühnenstimme aus dem Off scheint verrückt zu spielen, sie kündigt die ganze Oper erneut an, statt einen Abspann zu sprechen. Das Publikum klatscht irritiert vor leerer Bühne.