Amoklauf – kein Kinderspiel Rezension

in jw,17.10.08, von Anja Röhl

Amoklauf

Es ist nicht lange her, da berichtete ein Redakteur der Zeit, wie sein Sohn in einem brandenburgischen Dorf erst computersüchtig und dann zum Mörder wurde. Amokläufer kommen also auch aus den sogenannten besseren Familien. Nun hatte das Stück »Amoklauf mein Kinderspiel« im Theater Vorpommern in Stralsund Premiere. Der Autor Thomas Freyer ist ein Newcomer. Knapp zwei Jahre vor dem berühmten Amoklauf in Erfurt 2002 hat er Abitur gemacht – im nahe gelegenen Gera. Freyer hat schon mehrere Theaterpreise, Stipendien und Auszeichnungen auf dem Buckel. Sein Stück ist montagehaft, es wird in sich gegenseitig überlappenden Monologen gesprochen, einfach und nachvollziehbar.

Computer als Klotz am Leben

Drei Menschen nebeneinander, dem Publikum zugewandt. Sie schreien ihren Haß gegen die Erwachsenenwelt raus. Mit Kabeln und Kopfhörern sind sie an großen grauen Klötzen befestigt, das sind die Computer, hinter denen sie manchmal verschwinden, die sie aber auch forttragen können. Was gefällt ihnen nicht an Eltern? Freyer spricht im Programmheft von der »Orientierungslosigkeit« nach 1989. Sie hätten die »neue Freiheit« nicht als »Chance, sondern eher als Angst erfahren«. Seine Protagonisten wissen es besser: Zwischen Mülltonnen und Häuserruinen eilen sie mit nichts als der Zigarette im Magen, von Krämpfen geschüttelt in die Schule, wo es auf jeden Punkt ankommt, den man auf dem Weg zur Oberstufe erringen muß. Die Lehrer brüllen sie an: »Du wirst das niemals schaffen, du nicht!« Die Welt der Lehrer ähnelt der Welt der Schüler nicht im entferntesten. Da liegen keine Generationen dazwischen, sondern Jahrhunderte. Die Schüler rufen ihnen entgegen: »In den Falten eurer Gesichter liegt Staub aus einem anderen Land!«

Bier und Nudelsalat, man darf sich nicht beklagen

Zu Hause gibt es Bier und Nudelsalat im Wohnzimmer. Und unterdrückte Wut. »Man darf sich nicht beklagen«, sagen die Erwachsenen. Eine Mischung aus aufgesetztem Optimismus, Verleugnung der Vergangenheit und Verteufelung des Westens. Für die Kinder ein einziger »Brei«, in dem sie versinken. »Verwesungsgeruch im Schlafzimmer, um mich herum Dreck, meine Mutter lebt vor dem Fernseher.« Die Kinder »schleppen sich von Essen zu Essen«, um es wieder auszukotzen. »Der Weihnachtsbaum wird schon Mitte November gekauft«. Dann begeben sich die Protagonisten in ein Spiel, das den Amoklauf kopiert, es macht ihn nach und vor. Das erinnert an »Counter-Strike«. Es wird zusammen gespielt, im Chat, einer übernimmt, wenn der andere nicht mehr weiter kann. Den Rest der Zeit wird ein Lehrer nach dem nächsten getötet. Mitleid kommt nicht auf, da es ja nur Spiel ist. Statt dessen wird rücksichtslos gemeckert, wenn einer zu wenige Lehrer abschlachtet. Im Pogrammheft heißt es, »Counter-Strike« sei wie Schach, es gehe nur um Technik, nicht um Gewalt. Die Leidenschaft der Spieler auf der Bühne verpufft, ewig ist von Blut die Rede, aber das berührt nicht mehr.

Seltsame Menschen, die eure Kinder sind

Die Vorurteile ihrer Eltern scheinen sich zu bestätigen, es fehlt ihnen offenbar an Halt, Moral und Grenzen. »Seltsame Menschen, die eure Kinder sind!« Dieses Ende bedrückt. Die Freiheit jedenfalls braucht Gerechtigkeit, sonst ist sie keine Freiheit, und Angst muß in Widerstand umgewandelt werden, sonst senkt sich der Hass dazwischen. Auf die Falschen.

* Nächste Vorstellungen: 20.10. (Stralsund), 21.10. (Greifswald), 4.11. (Stralsund), 6.11. (Greifswald)

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