Rosa Luxemburg im Grips – Ihre Stärken und eure Schwächen Rezension
Vom Kasernenmeer in den Sumpf der Reformisten: Im Berliner Grips-Theater wurde ein Stück über Rosa Luxemburg uraufgeführt
Grips Theater, Uraufführung am 7.11.08
Mit einiger Skepsis ging ich am Freitag in die Uraufführung des Musiktheaterstücks »Rosa« im Berliner Grips-Theater. Das Stück nähert sich Rosa Luxemburg vom Vornamen her. Regisseurin Franziska Steiof hat es zusammen mit ihrem Partner Volker Ludwig geschrieben, seit Jahrzehnten Chef des Theaters. Vor der Aufführung war Steiof sehr um Abgrenzung nach links bemüht. Radikalität sei kein Kriterium, erklärte sie, sprach gern über Luxemburgs Liebesleben und ihre »Zerrissenheit«, ungern über Feminismus: »Frauen sind keine Pandabären. «Der Hinweis, daß Steiof als »Personaltrainerin für Firmen« arbeitet, hat mein Vertrauen in sie nicht gerade gestärkt. Sollte gerade sie die politische Figur Rosa Luxemburg erstmals gut auf die Bühne bringen? Volker Ludwig versicherte, seine Partnerin habe Luxemburg schon immer »verehrt«. Er selbst habe sich seit ’68 mit ihr beschäftigt. Man solle kein Denkmal erwarten, sondern eine »vitale Auseinandersetzung«. Nun gut. Neben riesigen »Rosa«-Plakaten hängen vor dem Theater Plakate von anderen politischen Stücken (»Cengiz und Locke«, »Wehr Dich, Mathilda«…). Der Vorplatz ist zum Bersten voll. Das Theater dann auch. Prominenz ist gekommen: Antje Vollmer, Walter Momper – viele graue Köpfe, Kinder und Enkel. Dazwischen Luxemburgs Konterfei auf einer Coca-Cola-Karte: »Enjoy Rosa«.
Wegen Widerspruchsgeist Medaille verweigert
Das Stück ist biographisch aufgezogen: Mit fünf Jahren an Knochentuberkulose erkrankt, beginnt das Kind zu lesen. Gesellschaftliche Unterdrückung im zaristisch besetzten Polen prägen Luxemburgs Jugend. Der Abiturientin wird eine Goldmedaille verweigert, wegen »Widerspruchsgeist«. Mit 18 erlebt sie, wie eine 19jährige »Kämpferin für die Freiheit und den Sozialismus« zum Tod durch den Strang verurteilt wird. Sehr unverständlich, daß Luxemburg kurz darauf in Zürich zu einem naiven Kindchen zusammenschnurrt, das einem arroganten, blaß gespielten Kerl verfällt, an dem kein gutes Haar zu sein scheint. Erst beim Nachlesen im Stücktext wird die Liebesszene etwas verständlicher. Im hingeworfenen Bettzeug auf der Bühne gibt es nur schlechtes Fernsehen: Aktivitäten des kühlen Mannes; Hinschmelzen der sich verzehrenden Frau. Wie dieser Liebesakt damals tatsächlich verlaufen ist, bleibt dabei natürlich spekulativ. Da mag man noch soviel aus persönlichen Briefen zitieren.
Die Figur bricht – Politik nur als Notbehelf?
Es brauchte offenbar einen Kontrapunkt zum politisch schon recht selbstbewußten Auftreten Luxemburgs. Aber auch diesen Kontrapunkt hätte man weniger klischeehaft setzen können, ohne fast pornographische Anflüge. Hier brach die Figur entzwei, verlor die Regie an Glaubwürdigkeit (und nicht die historische Figur). Nach den ersten 45 Minuten hatte ich den Eindruck, daß beinahe nur Privates gezeigt wurde, Politik als Notbehelf und Nebensache rüberkam, zu der Luxemburg nur »Zuflucht nahm«, weil ihr Geliebter Leo Jogiches nicht mit ihr leben wollte (was man anhand von Häkeldeckchen verstehen sollte). Ein nachträglicher Blick ins Textheft schwächte den Eindruck wieder ab, aber was nützt das, wenn es doch um das Spiel geht. Nicht, daß ich mich gegen die traurige Tatsache wehren wollte, daß auch revolutionäre Frauen im Bett den größten Idioten verfallen können. Nur muß gerade das gut gespielt und motiviert werden. Sonst wird es peinlich. Und war Leo Jogiches solch ein Idiot und Frauenverächter? Über 25 Jahre waren die beiden befreundet, bewunderten einander – hier war ein sehr viel diffizileres Geschehen im Schwange als auf der weißen Bettmatte ausgebreitet.
Leidenschaftliche Nonkonformistin – witzig und erfrischend
Diese Schwäche verliert sich im zweiten Teil. Die Figur der Luxemburg gewinnt an Substanz und Tiefe, wirkt eindrücklich, rückt einem näher. Am stärksten ist sie, wenn sie gegen Militarismus, Obrigkeitsspießertum und Reformismus angeht. Als leidenschaftliche Nonkonformistin. Das ist erfrischend und witzig. Bei ihrer Ankunft in Berlin etwa kommen ihr die Menschen vor wie »im Kasernenmeer«: Uniformen und Gegröle, Haß und Dummheit, »jeder Laut ein Bündel Hiebe«. Sie nimmt den Kampf gegen die Reformisten auf (»Ihr ganzes Büro müßte mal gründlich gelüftet werden!«) und gewinnt Anhänger. Herrlich das Lied der Altvorderen, »Rosa hilf!«: »Was ist aus uns geworden? Ein bürgerlicher Wahlverein. (…) Wir sind die letzten Linken und drohen zu ertrinken im Sumpf der Reformisten, wenn das Marx und Engels wüßten«.
Nur die eigenen Schwächen gezeigt?
Leider wird in sentimentalen Momenten ihr Humpeln unerträglich. Und vor allem bei Auftritten Leo Jogiches’ werden weiter Klischees bemüht: Linke sind generell gegen Familie, Freunde, Kinder – Rosa Luxemburg macht Politik also vor allem, weil sie eine bürgerliche Familie nicht hinbekommt. Sicher, man wollte sie mit allen »Schwächen« zeigen; die Gefahr ist, daß man nur seine eigenen zeigt. »Natürlich war Rosa auch Irrtümern unterlegen«, sagt Volker Ludwig, »am stärksten und fatalsten war ihr Glaube an die Massen«. Sie habe zu sehr auf Spontanität gesetzt. »Die Massen wurden von ihr nie in irgendeiner Weise beinflußt oder gelenkt.« Folgerichtig ist es zu einer Szene gekommen, in der Luxemburg von Anhängern umringt wird: »Königin«, wird da gesungen, »wir wollen dich krönen «Clara Zetkins Sohn Kostja singt ein Liebeslied – blankester Kitsch. Kautskys Lied »Liebe Rosa« besteht aus köstlichstem Witz und politischem Scharfsinn. Der Auszug aus ihrer Rede über die Fischvergiftung ist inhaltlich gut ausgesucht, aber leider auch wieder zu sehr dem Bild der »Königin« entsprechend von oben herab gespielt. Der Satz: »Ich bin ein Mensch, der von der Partei betrogen wurde, seit ich sie kenne!« wird von Hauptdarstellerin Regina Seidler herrlich kraftvoll herausgeschleudert, mit einer guten Mischung aus Hilfslosigkeit und Wut. Dann rutscht sie wieder ins Sentimentale ab. Die von der SPD abgenickte Kriegserklärung quittiert sie wimmernd in einer Kuhle. Warum werden diese Tränen des Erschüttertseins als Schwäche dargestellt? Warum klammert sie sich in der nächsten Szene wie ein Säugling an den Hals eines Übervaters?
In roter Seidenbluse im Gefängnis?
Es sind die weniger lauten Szenen, die wunderschön sind. Rosa Luxemburg tanzt und singt mit ihren Freundinnen. Oder spricht ihnen aus dem Gefängnis heraus Trost zu und tröstet sich dabei auch selbst. Als sie sich von allen ihr lieb gewordenen Menschen verabschiedet, geht sie zu jedem auf eine ganz besondere Weise hin; berührt, umarmt oder küßt ihn – gerade das Unaufdringliche macht diese Szenen so wertvoll. Dazu kommen gelungene Dispute mit Reformisten. Hier sprühen die Worte vor ungekünstelter Leidenschaft. Genial schließlich auch die Szene im Gefängnis, wo Luxemburg in roter Seidenbluse an ihrer Kritik an Lenin festhält. Nur entschlüsselt sich nicht, was die Seidenbluse sagen soll. Am Ende wird durch den großartigen Monolog eines Arbeiters absolut klar, warum es so schwer war, die Kommunisten mit der SPD zusammenzuführen. Zur Niederschlagung der Revolution werden Blutbäder angerichtet. In Parteizentralen, auf Straßen, in Wohnungen. Die Konterrevolution marschiert. Das Bild des von Flammenwerfern in Trümmer gelegten Vorwärts-Hauses mit weißen Fahnen bleibt. Was hat die Anpassungsheuchelei von Ebert und Noske genutzt, das Streben nach Anerkennung der Oberen?
Auseinandersetzung mit der Revolution 18/19 überfällig
Im Januar 1919 wurde Rosa Luxemburg ermordet. Sie mußte nicht mehr erleben, wie ihre Voraussagen sich bestätigten, zu noch schrecklicheren Folgen führten, als man sich damals auch nur erahnen konnte. Das Stück von Ludwig und Steiof wird hoffentlich noch andere Theater dazu bringen, sich mit diesem Stoff zu beschäftigen. Die Auseinandersetzung mit der Revolution von 1918/19 in den Theatern ist überfällig.
Nächste Vorstellungen: 26.–29. November, jeweils 19.30 Uhr, Hansaplatz, Berlin-Tiergarten
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