Ladies Night Rezension
23.06.2009 / Feuilleton junge welt / Seite 13
Sozialkritische Komödie
Das Stralsunder Theater kann nicht anders, es muss sozialkritisch sein. Selbst in einer Komödie. Ursprünglich wollte ich nur meine trübe Stimmung etwas aufhellen. Das Stück „Ladies Night“ aus dem englischen Arbeitermilieu von Stephen Sinclair hatte ich vor Jahren mal als Film gesehen. Es war nicht mal eine Premiere, in die ich ging, sondern eine Neuaufnahme des in Stralsund 2002 schon mal gespielten Stückes. Demzufolge gab es auch keine Pressemappen, keine Galaprominenz der Stadtoberen, nur viele Frauen saßen in Gruppen und erwarteten die Männerstripper und lachten schon vorher, weil sie dachten, das macht man so. Dann aber verging ihnen erstmal das Lachen. Die grauzerschlissene Arbeitslosenbörse in einem verschlafenen englischen Nest sah verflucht nach unserem Ein-Euro-Elend aus, nur das wir in Stralsund 2009 ein neues schickes Haus dafür haben, jedenfalls für die ARGE. Die Stimmung wird davon nicht besser und die Situation der Ein-Euro- Harz IVler ebenfalls nicht.
Plattenbaustimmung im Theater
Das Stück scheint direkt aus Knieper West importiert zu sein, graue Betonkästen, Neonlicht, schmuddelige Pommesbude, heruntergekommene Menschen, die jeder Mut verlassen hat. Sie sitzen auf abgeschlissenen Plastikstühlen und stecken voller Aggressionen. Zunächst gegeneinander wütend, kehrt sich die Stimmung langsam ins Solidarische, als einer sich versucht umzubringen. Dies wird einfühlsam und sensibel gespielt, absolut echt! Geniale Schauspieler, denen ihre Rollen auf den Leib geschnitten zu sein scheinen. Mit einem eigenen, ganz feinen Witz gestalten sich die Dialoge. Bester Brechtscher Witz, hinter dem die Weltrevolution versteckt ist. Kein seelenloser Witz, kein Lustigmachen auf Kosten anderer Leute, Milieuschilderung erster Güte. Die Menschen werden nach gesellschaftlichen Klassen typisiert, ohne dass ihnen das schadet, es macht sie nicht einfach, sondern kompliziert. Da gibt es den mittelalten Proletarier, Typ solider Handwerker, der sich als Versager fühlt, den ins Subproletariat abrutschenden jungen Proleten in Lederjacke, der auch schon mal im Knast saß, von seiner Frau verlassen ist und Angst hat, sein Kind nicht mehr sehen zu dürfen, die stehen zunächst dem besseren proletarisierten Mittelständler, einem leitenden Angestellten mit Häuschen gegenüber, der mit Aktentasche herumläuft und seiner Frau sechs Monate die Arbeitslosigkeit verschwiegen hat, nachher avanciert er zum Tanzlehrer. Dann den älteren Meister, der sich erst recht spät entscheidet mitzumachen, aber schon die ganze Zeit wollte, den Sportsfreund und Muskelprotz, der sich später als Liebhaber des Verlierertyps mausert, den Verlierertyp, der noch bei seiner Mutter lebt und sich anfangs aufhängen will und aus all diesem farblosen Elend erhebt sich die Idee, mit einer männerstrippenden Tanzvorführung das „große“ Geld zu machen.
Aus dem Elend erheben
Die Kraft, die aus dieser Idee wächst, entfaltet sich langsam und nicht aufdringlich, nicht klamaukhaft. Sie entfaltet sich gut, die Männer finden sich wie die Bremer Stadtmusikanten zusammen, sich gegenseitig Mut machend. Es ist eine Idee, die die Macht der Selbstorganisation als Vorstufe des Sich Wehrens gegen unerträgliche Bedingungen zeigt, witzig und immer selbstironisch. Eine Kunst, die nicht nur dem Autor mit seinen Dialogen zu verdanken ist, sondern auch von den Schauspielern meisterhaft umgesetzt wird. „Sich aus dem Elend zu erheben, die stets man noch zum Hungern zwingt“, so könnte der Einleitungstext dieses Stückes lauten.
Männer können auch Hüften schwingen
Obgleich es sich also um eine Männertanzaufführung mit sich ausziehenden Männern handelt, ist knallharte Kapitalismuskritik darin, gut verpackt und doch nur um so sichtbarer: Parteinahme für das kollektive Gemeinschaftliche gegen das vereinzelt Isolierte. Solidarität versus Resignation in der neoliberalen Kälte. Ein Anfang, von da aus weiter. Meine Stimmung hat sich jedenfalls aufgehellt. Nebenbei werden hier einmal Männer in weichen, durchaus erotischen Posen gezeigt, auch ein Tabubruch und eine gute Gegensteuerung gegen das Gewohnte und Erwartete. Männer müssen nicht immer finster und steif in grauen Sachen herumlaufen, als hätten sie Stöcke verschluckt, sie können auch die Hüften schwingen, sie haben auch Körper, sie sehen auch verschieden aus, sie sind auch Menschen. Eine interessante Erkenntnis zur Freude aller.