Lulu und ein Frauensprechchor in der Schaubühne – Rezension
Volker Lösch bringt Wedekinds Lulu auf die Bühne, am Samstag, 11.12. hatte das Stück Premiere an der Berliner Schaubühne.
Volker Lösch war es, der in Hamburg HartzIV-Empfänger auf die Bühne holte und sie ihr Leben in Satzfetzen auf das Publikum herabschreien ließ, er gab ihnen Stimme, er gab ihnen Raum, danach haben sie aus dem Kapital vorgelesen, nicht dem von Marx, sondern der Zeitung gleichen Namens der Börsianer: Eine einfache Liste der reichsten Männer Deutschlands, die in Hamburg wohnen, mit Adressen und Kapitalvermögen, der Sturm der Entrüstung, über diese Unverfrorenheit, galt nur der Zusammenstellung, denn die Managerzeitung konnte vorher die Listen ungestraft drucken. So sicher waren sie sich, dass keiner der Untertanen daran Anstoß nehmen würde. Volker Lösch will, sagt er, keine Ideologie verkündigen, er will zum Denken anregen. Seit Piskator, sagte er, sei das Publikum nicht mehr gleich nach dem Theater demonstrieren gewesen. Aber in Hamburg, nach seinen und Nikolas Stemanns Stücken wohl. Er selbst macht mit bei Stuttgart 21, schreibt darüber sogar ein Buch, er hat in Hamburg ein sozialkritisches Stück mit Kindern aus Mümmelmannsberg inszeniert (Hänsel und Gretel gehen Mümmelmannsberg), es passiert was, das Bürgertum bewegt sich, will nicht mehr weggucken.
Lösch holt die Erniedrigten und Beleidigten ins Theater
Löschs besonderes Markenzeichen: Der Sprechchor aus echten Betroffenen. Sie begleiten das Stück, sind den Szenen zwischengeschaltet, kommentieren und konterkarieren, holen die Realität der Erniedrigten und Beleidigten ins Theater, schocken das bürgerliche Premierenpublikum durch Alltagsgesichter, deren Probleme offen sichtbar sind, dessen Erfinder nicht er, bekennt er, sondern Aischylos sei. So auch nun in Berlin, der Stadt der Vergnügungssüchte und Nachtschwärmer, hier hat er zunächst ein Stück mit einem Gefangenenchor erarbeitet (Berlin Alexanderplatz, ebenfalls Schaubühne, wo die Menschen auf einem Boden von Geldmünzen unsicher umherschwanken), nun Sex-Arbeiterinnen zu Wort kommen lassen. Die Frauenzitate sind interessant ausgewählt und so zusammengestellt, dass Literatur wird, was sich hier äußert. Dabei enthüllen die Frauen eine tragische Ambivalenz. Sie beklagen einerseits die Trennung von Liebe und Sex, zementieren sie aber durch die Tragik ihrer die Männer bedienenden Tätigkeit, was sie gleichzeitig vor sich selbst verschleiern. Es heißt zB: „ Als ich jung war habe ich extrem gelitten, über Jahre hinweg, weil ich das eben nicht trennen konnte, ich habe mit Pornos und SM angefangen, weil ich mir gesagt habe, du musst lernen das zu trennen, sonst landest du in der Klapse“. Oder : “Frauen sind so, sie können Liebe nur mit Liebe machen und Männer, die können eben f. wie sie wollen.“ …“Ich bin immer im Sex versunken, war hemmungslos verliebt, aber bin immer wieder enttäuscht worden“.., und so kommt am Ende etwas heraus, was den Männern, die diese Trennung zelebrieren, nützt, und ihnen selbst schadet. Dabei bestehen sie, wie in einer Verzweiflung, auf der Striktheit der verhassten Trennung, nehmen das als Voraussetzung ihrer “Achtung” und “Akzeptanz”, wo es doch das Gegenteil wäre. Sie machen sich sogar lustig über diejenigen Männer, die sich ihnen als Freier liebesmäßig zu nähern versuchen: „Ich habe en masse Liebesbriefe und das Härteste ist ein Typ, der wollte unbedingt ein Kind von mir, ein anderer wollte mich unbedingt heiraten… Liebeskaspar ist der Begriff für solche Männer, wo jemand dauernd anruft oder emails schreibt…“
Das Tragische sichtbar machen
Ist es Angst, ist es Wut, ist es Vorbeugung vor erneuter Enttäuschung? Einmal die Entscheidung für diesen “Beruf” aus der Not heraus getroffen, soll die Trennung extrem strikt gewahrt bleiben, hie Liebe, da Sex, das wird deutlich und noch mehr, die Trennung von Liebe und Sex wird durch die Aneinanderreihung von Demütigungen nicht besser. So spielt auf der Bühne in Wort und Szenen Herabdegradierungen von Frauen die entscheidende Rolle, sowohl von dem Chor als auch in den Lulu-Szenen ( „Na, das Honigtöpfchen wird wohl noch dasselbe sein?“) und in der Realität des Prostituiertenalltags (Zitate zu den Themen: Gewalt, Beruf, Geld) werden Frauen auf die Ebene von dummen Tieren oder bloßer Gegenstände gehalten, und, wie eine sich selbst bestätigende Prophezeihung, immer weiter geführt. Und wenn es dann manchmal einem ihrer Männer nicht leicht fällt Liebe und Sex zu trennen, dann schreien die Frauen: „Jetzt kriegen sies von mir zurück!“ Es ist tragisch und das Tragische sichtbar zu machen, mag der erste Schritt zu seiner möglichen Veränderbarkeit sein, kann aber auch das Festhalten an den erniedrigenden Erscheinungsformen bedeuten.
Schon sehr früh mit Sex in Verbindung gekommen
Die Frau zur Ware gemacht, funktionalisiert zum „Gebrauchsgegenstand“, wird hier zugleich angeprangert und gezeigt, wird damit zugleich kritisiert und heroisiert, denn der Widerspruch wird durch die Zitate der Frauen nicht aufgehoben.
Gehandelt wird nach dem Motto: „Jetzt erst recht, jetzt eben so, wie ihr es immer wolltet!“ das wird zur “Berufsethik” der Prostituierten erhoben und dadurch schließlich auch gegen die Frauen gekehrt. Jene nämlich, die diese Konsequenz bisher noch nicht gezogen haben und der Meinung sind, man solle noch dafür kämpfen, dass Liebe und Sex zusammengehören und auch zusammen gelebt werden „dürfen“. Auch durch die weiteren, zum größten Teil erschütternden Zitate: „ Ich bin sehr früh mit Sex in Verbindung gekommen, habe so leichte Missbrauchserfahrungen, die ich damals aber als völlig normal empfunden habe…auch mit meiner Schwester, hab also sehr früh aktiv sexuell gelebt, schon als Kleinkind… ich musste Liebe und Sexualität trennen, das hat dazu geführt, dass ich mich so abgespalten gefühlt habe, es gab mich mit meinem inneren und das andere, der andere Teil von mir hat den Sex gemacht..“,… „Der Alkoholiker-Großvater, der mich körperlich misshandelt hat, der schlagende Ehemann, der sexuell übergriffige Onkel in meiner Jugend..“ wird eines überdeutlich: Die Sexarbeiterin ist das Kind der entfremdeten, demütigenden und quälerischen Sexualität, die hierzulande männlich-herrschaftlich geprägt ist und meist als testosteron-biologistisch entschuldigt wird, so auch hier, wo das schmunzelnde Fazit lauten könnte: So ist eben nun mal der Mann, wo es in Wahrheit um nichts anderes als “sexualisierte Erniedrigung” geht.
Ein Sich-zur-Wehr setzen
Es verstehen also die Frauen ihren Beruf als ein Sich-zur-Wehr setzen, sozusagen als Konsequenz: „Okay, wenn das so läuft, dann will ich auch Geld dafür!“ Innerpsychologisch erfüllt das Geld hier eine fragwürdige Wiedergutmachungsfunktion, mehr noch aber wahrscheinlich das Gefühl der inneren Kälte beim Hervorlocken männlicher Lust, eine Art „Jetzt zeig ich´s ihm!“ Und die verführende Frau, die scheinbar alles dirigiert, allerdings in diesem Falle nur bis zu dem „Punkt des Abspritzens“, denn dann stürze die Illusion ab, entweder gingen die Männer schnell, oder würden brutal, diese Frau zieht ihre fragwürdige Stärke einzig aus dieser Rolle der Verführerin in die kalte, eisige Welt des Illusionssex, der niemals Liebe werden darf und gar nicht soll, damit die Hure „als Hure akzeptiert“ wird. Hier stimmt etwas nicht und daher bleibt ein schales Gefühl der Männerlastigkeit zurück, da diese sich sogar hier noch schenkelklopfend bestätigen können, dass es eben keineswegs schade, sogar ehrenwert sei, zu einer Prostituierten zu gehen, wenn man sie nur nicht brutal behandele und ihre Dienstleistung der Lust und Zärtlichkeit käuflich “achtsam” annähme.
Lulus Kälte macht taub für den Schmerz, der hier betäubt werden muss
Die Geschichte von Wedekinds Lulu, die schon mit 12 Jahren von Goll verführt wird, einem offenbar pädophilen Mann und die folglich, sterben ihr Männer weg, kalt bleibt und ausruft: „Tot? Der dressiert mich nicht mehr!“, passt hier sehr gut dazu, die Montage des Stückes mit den Zitaten ist gelungen, die Kälte Lulus macht allerdings taub für den Schmerz, den sie zu betäuben versucht. Volker Lösch ist es gelungen eine kalte, Frauen auf die Stufe von Eseln und Befriedigungsorganen herabwürdigende Sexualität ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren, die immer noch und wieder vermehrt, wie die Frauen beobachteten, und die Statistiken uns sagen, verbreitet ist. Aber ist es ihm auch gelungen, etwas dagegen zu setzen? Ich finde nicht oder zu wenig. Das Manifest der Sexarbeiterinnen, das darin gipfelt, im Sexualität von der Liebe strikt trennenden Körperverkaufsgewerbe, ein wenig mehr Anerkennung: „Mösen und Muschis vereinigt euch“, etwas weniger Brutalität und eine gesellschaftliche Akzeptanz diesen “Berufs” neben anderen zu erreichen, kann ich keine Forderung nach Aufhebung diesen Widerspruchs finden, der doch alle erst soweit gebracht hat, dass sie hier angekommen sind: „ Ich hab kein Bock mehr auf Männer, ich hab überhaupt keinen Bock mehr auf Sex, …weil ich nicht mehr an die Liebe zwischen Mann und Frau glaube…dass ich also einsam und allein sterbe…ein Freund, der es erlaubt, dass du diesen Job machst, ist kein Freund.“
Eine echte Befreiung der Sexualität hat nicht stattgefunden
Das Stück zeigt auf, regt zum Nachdenken auf, prangert an: „Eine echte Befreiung der Sexualität hat nicht stattgefunden“ und macht viel Schmerz deutlich, aber es zementiert auch die in dieser Gesellschaft einzig dafür zugelassene Lösung: Liebe in der festen Beziehung und Sex personenunabhängig und „frei“ auf Geldschein bei Sexarbeiterinnen. Wenn wir an den Warencharakter des Liebe/Sexualitätskomplexes wirklich herangehen wollen, dann müssen wir noch einen Schritt weitergehen. Aber wohin? Einst schienen wir weiter zu sein, wir wollten Liebe und Sex zusammenführen, aus der Tabu- und Beschmutzungszone herausführen, zärtlicher und selbstbestimmter machen, vom Geld und von der Gewalt lösen, Ziele, die in einer Gesellschaft, die auf dem Warencharakter beruht, vielleicht, bei dem Umsatz, der in dieser Branche zu machen ist, nicht zu realisieren sind. Also? Generalstreik! Bei den Sex-Arbeiterinnen, dafür wäre ich. Wer sich weiter damit beschäftigen will, wie sogenannte “Sex-Arbeiterinnen” sich wirklich fühlen, dem sei das neueste EMMA-Interview mit einem Pornostar empfohlen, etwas Grausameres hat man noch nicht gelesen. Der Aufklärungscharakter ist wirklich enorm!