Schwabinggradballett – Rezension

10.04.2010 / junge welt / Feuilleton / Seite 13

schwabing7Keine Stadt Deutschlands verkörpert den Kapitalismus derart typisch wie Hamburg. Es ist der Ort, in dem das Kapital geradezu »überschäumt« und »auf seinem Weg immer mehr Mißverhältnisse, immer mehr Chaos und Krisen«, das heißt immer mehr Armut schafft (Lenin, Band 39, S.11). Laut Manager Magazin wohnen in Hamburg 36 der 300 reichsten Deutschen, darunter neun Milliardäre. Ihr Vermögen beläuft sich auf 43,2 Milliarden Euro, sie verdienen in jeder Stunde oder an jedem Tag eine oder zwei Millionen dazu. Es handelt sich um Familien wie die von Bauer oder Springer. Gleichzeitig müssen in Hamburg 200 000 Menschen mit Hartz IV auskommen, Tendenz steigend.

In dieser Stadt hat sich, trotz Gentrifizierung und Prachtbauten für Millionäre in der abgeriegelten »HafenCity« in der »Roten Flora« ein letzter fast schon exotischer Ort des Widerstands erhalten. Das letzte besetzte Haus, u.a. Jugendzentrum, Veranstaltungsort, Vokü… mit grünem Garten nach hinten raus, zur Straße hin bunt bemalt und getaggt , mit zwei riesigen Wandgemälden zur aktuellen Politik beklebt (Griechenland-Solidarität und Anti-AKW), beherbergt unter einem riesigen Vordach einen Berberschlafplatz mit zirka 20 Schlafsäcken. Als wir am Donnerstag auf die Performance-Gruppe Schwabinggrad Ballett warten, bekommen wir wie jeder, der vorbeiläuft, eine Sammelbox hingehalten. Hier liegen auch bemalte Säcke herum, die, als die Menge auf ca. 200 Leute angewachsen ist, plötzlich von fünf Leuten in glitzernden Anzügen mit Fahne, aufgehoben und quer über die Straße in die Rote Flora gebracht werden. Das Stück »Business Punk City« beginnt. In der Flora hat sich das Tor aufgetan, es wird kurz zwischen den Schlafsäcken hin und her gefegt, und dann muß sich die Menge der 200 durch zwei schmale Türöffnungen drängen. Diese Bewegung verursacht auf der Straße ein Verkehrschaos, kommt schon einer kleinen Demo nah.

Innen ist es düster und neblig, keine Fenster, auf einem Aufbau rechts und links Instrumente: Waschmaschinentrommel, Kinderblasinstrumente, Klarinette. Dazu Wassertropfenmusik wie Sphärenklänge aus dem All. Es folgt eine kurze Ansprache: »Irgendwann fingen die Menschen an, Dinge auf Haufen zu tun, Pilze, Stöckchen…« Die Mitglieder des Schwabinggrad Balletts machen dazu entsprechende Körperbewegungen. Die Geschichte der Menschheit wird kurz angeschnitten. »Ich war auf der Suche, da traf ich auf solch einen Haufen: Schiffe, Handel, 15 Sprachen, die Freude war allgegenwärtig«. Der Berber, der vorher die Box hielt, hält den Schauspielern ne Flasche hin: Wodka? Die Geschichte geht weiter: »Verstädterung, Talente entwickeln sich«. Die Industrialisierung wird durch mechanische Körperbewegungen in einem Tanz ausgedrückt, der so auch in den Krieg führen könnte – zu Technomusik. Der Berber schunkelt als einziger mit. In der Neuzeit geraten dann der Stadtteil Ottensen und seine teurer werdenden Wohnungen in den Blick. Eindrucksvoll ist eine Spinnennetzszene: Während es stockdunkel wird, werden dünne Fäden gespannt, vier Spieler hocken zusammen und geben mit ihren aufgestellten Händen über die Fäden tastend die Spinnen, das Ganze wird von einer Life-Kamera gefilmt und an die Rückwand über das Bild eines Hochhauses geworfen. »Hier gibt es viele Schlupfwinkel, in dunkler Nacht, da kommen die Spinnen, und wenn es hell wird, hat mancher gläserne Balkon der Firma seinen Glanz verloren… über die Brückenspinne weiß man wenig…«

Kleine Einführung in das Handbuch neuester Widerstandsformen. Dann wieder Ansprache: »Es geht nicht darum, ob es einen Gott gibt oder keinen, um diesen oder jenen Fürsten, alle müssen verstehen, daß hier ein Ort ist, an dem man seinen Gefühlen… wow, seinen Gefühlen… wow…« Eine Frau kommt nach vorn und tanzt einige Minuten lang ekstatisch zu lauter Musik dazu. Man wird sich zu wehren wissen gegen die Gentrifizierung, früher Yuppisierung genannt, von Hafen, Schanze und Altona. Die Verteuerung der Mieten, das Hochziehen von Prunkbauten ist eine Zerstörung, die man sich hier nicht gefallen lassen will. Die eigenen Räume nicht klauen lassen, in denen man sich wenigstens noch etwas freier fühlen konnte.

Die Zukunft wird beispielhaft an Dubai festgemacht, wo die »Fabriken abgeschafft und die Arbeit erst in die Cafés, dann ganz nach Hause verlegt wurde«. Dazu wieder Maschinenbewegungen, jetzt spielt die Gruppe zunächst sich schubsende, dann zusammenraufende, schließlich untergehakte Menschen. Die anderen singen: »Wir sind dankbar für jeden Brotkrumen, die da oben könnten auch ganz anders… lachenden Herzens werden wir die HafenCity beleben, wir schwören, auch wieder abzuziehen, wenn der Immobilienmarkt sich erholt hat.« Nun will der besoffene Berber auch aufs Podium. Schnarrende Geigen, trommelnde Waschmaschinen, Kinderflöten, donnern: Wut, Ekstase, Trance, die Altonaer Urbewohner gegen die Vertreibung der Armen an die Stadtränder. Eindrucksvoll und abwechslungsreich die Choreographie: Jetzt spielen sie die Bürgerlichen, die sich auf einem Bein stehend, die Gesichter verzerrt, am ganzen Körper zitternd, nach hinten biegen, wie sie sich vor den Armen ekeln. Am Ende werden sogenannte Imagefilme der HafenCity eingeblendet, eines künstlichen Viertels, daß nicht etwa in Dubai, sondern tatsächlich in Hamburg gebaut wurde, davon die Bilder eines gigantischen Luxushochhauses, vor dem selbst Kirchtürme versinken, mit Managertypen drin, die an Bars und Swimmingpools lungern. Und während die Kameraführung durch deren Treppenhäuser von unten in überdimensionale Lampenanordnungen reinfährt, strecken und recken die Spieler als Schattenrisse vor der Leinwand ihre Arme hoch, klettern mit ihnen die Hochhaustreppen hinauf, erkrakseln die Balkone und fallen wie menschliche Spinnen in die Hochhäuser ein, ein Heer von Millionen Armen, die sich einst, in vielleicht nicht allzu ferner Zukunft, zurückholen, was ihnen jetzt gestohlen wurde.

Das Publikum applaudiert heftig. Keiner mußte zahlen, am Ende wartet ein freundliches Mädchen von Kampnagel und nimmt Spenden entgegen, einer ruft: »Es darf Sekt getrunken werden«, der Berber ist verschwunden. Eine junge Frau drückt mir zum Abschluß eine Karte in die Hand: 9.–18. April, Gallifizierung – Jetzt: »Ganz Hamburg ist in der Hand von Managern. Ganz Hamburg? Nein! Inmitten von Glas und Stahl steht ein besetztes Viertel – das Gängeviertel. Dort wird zwischen den Häusern, direkt gegenüber dem Unilever-Hochhaus, eine Skulptur entstehen, ein gallisches Fort«.

Nächste Aufführungen: Schwabinggradballett: http://www.lahengst.com/schwabinggrad.html

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