Schwarzweiß in Dessau – Rezension
Ein kleines umzäuntes Arreal im Stadtpark Dessau, einem kleinen Fleck grün in der Mitte der Stadt, am Tag hat hier eine Trauerfeier stattgefunden, denn am selben Tag vor zehn Jahren war hier im Stadtpark ein Mensch schwarzer Hautfarbe (Alberto Adriano) erschlagen worden.
Menschen mit Blumen in den Händen. Afrikaner, Theaterbesucher. Am Eingang wird man durch eine Art Garderobe geleitet, wo man sich ein Kleidungsstück im afrikanischen Stil aussuchen kann, ein sogenanntes Themenkostüm, wie die Kostümbildnerin, Annette Schemmel erklärt, gelber Stoff mit bunten Mustern, als Umhang für die Männer, als Kleid mit Puffärmeln für die Frauen, aber auch als Rock, als Haarschmuck, als Tuch erhältlich, bedruckt mit Sätzen und Worten, die zu dem Thema im Stück passen. Ähnliche Kleidung wird in Afrika auf Demonstrationen getragen, dort steht: Verantwortung, Menschenwürde, Respekt, Sierra Leone, Dessau, Fairness, Vielfalt und „Oury Jalloh“ – es war Mord, dazu ein Foto desjenigen Mannes, um den es heute Abend geht: Oury Jalloh, der in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte, festgeschnallt, in einem über und über gefliesten Raum.
Ihr müsst nicht anders werden durch uns
Vorn eine kleine Bühne, kaum drei mal drei Meter, auf der zwei Stühle mit kindergroßen Handpuppen liegen, einem weißen Polizisten in Uniform und einem schwarzen Mann in weißem Hemd. Das Publikum sitzt ungeordnet auf dem Rasen. Als das Stück beginnt, wird die schwarze Handpuppe von einem weißen Schauspieler geführt (Jan Kersjes) und die weiße von der schwarzhäutigen Schauspielerin ( Abak Safaei Rad), wir sehen also die eine Hand des weißen Polizisten in schwarz, die eine Hand des schwarzen Mannes in weiß. Der Mann ist eine stadtbekannte Persönlichkeit, nämlich derjenige, der die Verbrennung im Polizeigewahrsam schließlich als Mord bezeichnet hat. M. Inhaber eines Internetcafe´s, für das man ihm gleich darauf die Lizenz entzog. Er machte trotzdem weiter und schob eine Solidaritäts-Bewegung an, die im Laufe der Zeit nach Meinung der Boulevardpresse ganz Dessau spaltete. Der Polizist spricht: „Ich war mal im Urlaub in Südafrika, dort muss ich mich ja auch benehmen wie die!“ Moukbar: „Wir sind schon geboren mit dieser Hautfarbe, wir schlafen mit ihr, essen mit ihr…ihr müsst nicht anders werden durch uns, ich möchte, dass ihr so normal bleibt, wie ihr seid!“
Da muss man auch mal genau sein
Der Polizist rechtfertigt immerzu etwas, man weiß nicht was, die anderen, zu denen der Verbrannte gehörte, sind es, die den Unfrieden stiften, die Polizeibeschuldigung ist eine Zumutung. Und immerzu ist er auch um den Ruf der Stadt besorgt, das Zittern seines Kopfes dabei, seine köstlichen Übersprunghandlungen, sich mit der Hand immerzu der Korrektheit seiner Frisur zu versichern, seiner Uniform, personifiziertes Heinewort, als hätten sie den Stock geschluckt, mit dem man sie einst geprügelt: „Da muss man auch mal genau sein!“ Irgendwann geben sie sich wie zufällig die Hände, nun blickt der Polizist erstaunt, schüttelt seine scheinbar eben erst schwarz gewordene Hand, wischt sie an seiner Uniformhose ab, geht nicht ab und auch der schwarze M. blickt irritiert auf seinen weiß gewordenen Arm. Die kurze Eingangsszene ist Auftakt einer theatralischen „Stadtbegehung“ , das Publikum wird in langer Reihe durch die Stadt geführt, wie in einer Prozession laufen die gelben Themenkostüme als Menschenschlange durch das abendlich ausgestorbene Dessau. An einem ärmlichen Haus vorbeikommend, wird der Zug von einer Frau im grünen Bademantel beschimpft: „Alles immer voller Flaschen, Drogen…alles voll davon !!“ Die Theaterbesucher wollen erst erklären, dann zurückmeckern, aber die Frau gehört dazu, wird von Mitbesuchern verraten, schade, das Publikum wollte gerade mitspielen.
Dessau in den Zeugenstand
Im Kellerraum eines halbleer stehenden Hauses findet die „Gerichtsverhandlung“ statt, die schwarze Puppe erzählt von dem Gerichtsprozess, wer wo saß, man sieht leere Tische, Akten, „Ist keiner da?“ Man will den Prozess in Dessau nicht, er zieht sich trotzdem die Robe über, Musik, Edith Piaf: Je ne regrette rien! Der Richter: „Erheben Sie sich!“ Und dann: „Bitte Dessau in den Zeugenstand!“ Nun treten zögerlich Bürger aus Dessau auf, alles was gesprochen wird, sind Bruchstücke von echten Interviews, die kunstvoll ineinander verwoben sind. Es gibt keinen Autor, keine fiktive Geschichte, es wird Realität auseinandergeschnitten und wieder zusammengesetzt, aneinandergeklebt, kunstvoll montiert. Heraus kommt ein lebendig-erschreckendes Bild der Stadt, der Verleugnung, der Abwehr und genau derselben Beschuldigung, die die Morde erst ermöglicht hat, denn nun begreift erst der Zugereiste, dass es sich in Dessau um mehrere Morde an schwarzen Menschen handelt, es scheint dort eine Epidemie zu grassieren, zwei Morde an Schwarzen, einer davon ist Oury auf der Polizeipritsche, zwei weitere Morde an Minderheitsangehörigen (ein Behinderter, ein Obdachloser) sie verstarben unter ebenfalls ungeklärten Umständen in Polizeigewahrsam, nach Ansicht der braven Bürger dumme Zufallsvorfälle, die den Dessauern „angehängt“ werden. 70.000 Dessauer wollen nicht schuld sein, stattdessen sind die Afrikaner Schuld, dass die Polizei vor Gericht zitiert wird. Ein Polizist erzählt aus seinem Leben: Ordnungsliebe, prinzipientreu, tragischer Unfall, er kam vom Wasserschutz zur Polizei, auf Raten seiner Frau, weil er immer gern geangelt hatte.
Oury war kein Waisenknabe
Ein Polizist, zwei Frauen, eine Beamtin, schwarz, sie hat es `geschafft´, alles `streng nach Gesetz´, ich bin integriert, es kann gelingen, nur wollen muss man es!“ Aus dem Off: „Oury war kein Waisenknabe!“ , sie blickt dazu ernst ins Publikum. Weiter Off: „Die haben da Drogen vertickt! Oury war kein Waisenknabe!“ Häufigster Satz in allen Interviews: „Solange der Prozess läuft, können wir uns dazu nicht äußern”. Der Fall Oury Jalloh steht exemplarisch für den neuzeitlichen Rassismus, der sich zusammensetzt aus Fremdheit, Ressentiments, Abwehr und das Bedürfnis zum Weggucken.
Ich bin seit 8 Jahren hier, ich habe keinen Tag akzeptierte Genehmigung
Nächste Station: Ein Mann in einem weißen Gewand in einer Moschee, die in eine Wohnung eingebaut ist, Mosaiksäulen, ich bin Sulaiman Safar, ich bin seit 8 Jahren hier, habe keinen Tag akzeptierte Genehmigung, darf nicht mal zur Schule gehen, in Syrien habe ich Gesellschaftswissenschaften studiert, hier bin ich der Imam, er singt eine traurigschön klingende Sure. Der Islam sei nicht rassistisch, dort dürfe man keine Menschen umbringen, „aus Angst vor Allah“, er erklärt, wie gebetet wird. Man darf Fragen stellen, die in Anbetracht des getrennten Frauenraums gestellte Frage, warum der Islam so ungerecht zu Frauen sei, verneint er freundlich, dem sei nicht so, nur einige würden dies so auslegen. Das auszudiskutieren bleibt keine Zeit, bei der nächsten Station, dem ehemaligen Internet-Shop des Hauptanklägers Mouctar Bah, erlebt der Schauspieler Jan Kersjes seine große Stunde, er hat ein großes Talent, spielt mit Witz. Er gibt nun, in weiß, einen hinter seinem Tresen stehenden afrikanischen Internet-Shop-Besitzer, das Publikum drängt sich in zwei Gruppen hinein: „Thats my mother“, beginnt er, und zeigt auf ein Bild einer jungen Frau an der Wand, er erzählt in englisch, man versteht, weil er deutsche Worte einstreut, er erzählt von der Arbeit der Frauen in Afrika, 14 Stunden putzen bei reichen Leuten für 40 Euro pro Monat. Insofern: „all the same Wunsch: we want to get a small house, water, light power, work, we have nur one world, but the men is more dangerous as an animal, that’s the problem, you never see a hund take a gun, that’s logic!”
Der echte Mouctar war der erste, der die Familie des Oury Jalloh ausfindig machte und diese anregte einen Prozess anzustreben.
Im Weiteren sieht und hört man noch einen Deutschen in einer Döner-Imbisskneipe, der seinen Rassismus hinter Mitleid verbirgt, in einer Schule lernt man eine Neuzeit-kolonialistisch angehauchte höhere weiße Mittelstandsfrau ( Eva Marianne Berger) aus dem Senegal kennen, die sich ununterbrochen die Hände wischt und super gut karikiert wird, diese Interviewpassage hätte direkt von Thomas Bernhard stammen können, auf dem Weg dahin begegnet uns Abak Safaei Rad wieder, sie tritt übrigens in den verschiedenartigsten Rollen auf, man kann es nicht glauben, wie souverän und originell sie zwischen einer angepassten Biochemikerin mit Ballett-Tochter ( 1987 in der DDR promoviert über Schadstoffbelastung in Kleingärten, Fragen der Kleingärtner: Wo hast du so gut deutsch gelernt? Wo kommst du her, wann gehst du zurück?), einer wütenden Antifa-Kämpferin, einer steif-arroganten Beamtin und anderen Figuren hin und her springt und unsere Phantasie mit mindestens sieben Figuren bevölkert.
Ich bin geboren in Benin, wäre da auch geblieben
Die letzte Station findet in einer Turnhalle statt, die mit grau überdeckten Eisenbetten, wie eine Flüchtlingsunterkunft möbliert ist, ein weißer Schauspieler versucht sich schwarz anzumalen: Du zerlegst die ganze Zeit Rinder und immer „der Neger hat gestunken“! Er ist fatalistisch und klagt, eine empörte schwarzafrikanische Frau schreit, als sei sie aus dem Publikum und protestiere: „Was soll das hier, immer diese Weißen, ich bin geboren in Benin, ich wäre da auch geblieben, wir sind hier so eine Minderheit, warum könnt ihr uns nicht einfach in Ruhe lassen!“
Der Pass des Dessauer Staatsanwalts wird symbolisch verschenkt
Der Zug zieht über die nächtlichen Straßen zurück zum Theater, dann nochmal zu einer großen Freiluft-Bühne auf der Abschluss, die Afrika-Stoff-Kostüme sind nun in Biedermeier umgeschneidert, es tönt „Alle Menschen werden Brüder..“ von Beethoven, der Pass des Dessauer Staatsanwalts wird symbolisch an einen Schwarzen ohne Aufenthalts-Akzeptanz verschenkt, drei Kostüme werden verlost, ein über die Straßen in zahllose Wohnhäuser schallender Abschluss: „Na, liebe Dessauer, wie gefällt euch das?“
Bestes Straßentheater, ein Lob auf die Kostümbildnerin, die Schauspieler, das ganze Dessauer Team und ihre Freunde aus dem Oury Jalloh – Umfeld, eine gelungene Zusammenarbeit zwischen antirassistischer Bürgerbewegung und Theaterkunst. Hingehen, die Reise lohnt
weitere Aufführungen unter: Anhaltinisches Theater