The King´s Speach erfolgreich und grandios in Zinnowitz aufgeführt
Meine Westfreunde sehen die Wahlergebnisse und die blaue Fläche im gesamten Osten und sie fragen mich: Wie kannst du dort, umgeben von Faschisten, überhaupt noch wohnen? Ich weiß dann nie, was ich antworten soll.
Da wo ich mich herumtreibe, in Ausstellungen, Kinos, Theatern, Kultureinrichtungen und politischen Treffen, in Frauenzusammenhängen, da begegnen mir meist nur antifaschistisch und antidiktatorisch eingestellte Friedensfreunde, Altlinke und Neulinke, mit beeindruckenden historischen Kenntnissen, keine Faschisten. Ich mag nun einen blinden Fleck im Auge haben, sehe ja selbst, dass alles blau ist auf den Wahlstatistikbildchen, aber in ostdeutschen Großstädten, wie Erfurt, Dresden, Leipzig, Rostock, Stralsund, Greifswald genieße ich bei meinen Lesungen und Vorträgen wirklich aufgeschlossen linke Sozial- und Kulturlandschaften, in Dörfern Meck-Poms und Brandenburgs, wo ich mich auch gelegentlich teilwohnhaft aufhalte, sehe ich freundliche Nachbarschaften, Dorffrauentreffs, interessierte Kulturschaffende, und ich treffe dort durchaus auf sozialdemokratische, linke und sogar christliche Wählerschaft, mit humanistischen Weltbildern. Ich komme aber mit meinem: „Ihr täuscht euch, nicht alle dort denken so!“, bei niemandem durch. Auch traue ich mich niemandem zu erklären, wie sehr mir die Ostdeutschen Ex-DDRler, besonders die 89er – Aufbruch-Bewegten, z.B. die Gundifans, inzwischen ans Herz gewachsen sind, das löst Irritationen in meinem West-Bekanntenkreis aus.
Nehmen wir die Provinz: Die Blechbüchse im Ostseebad Zinnowitz: Im Winter kommt man in einen halbverschlafenen Touristenort mit vielen leeren Häusern, doch gibt es ein sehr ungewöhnliches Theater: Die Blechbüchse, eine orangegelbe, halb auf dem Boden liegende Tonne, ein inovativer, schon äußerlich außergewöhnlich kreativer Theaterraum, direkt neben einer Theaterakademie gelegen, wo junge Menschen aus allen Teilen Deutschlands ausgebildet werden. Die Blechbüchse fungiert als Standort der Vorpommerschen Landesbühne, die, ausgehend von Anklam, die Spielstätten in Barth und Zinnowitz bespielt.
Ich sah dort vor paar Tagen die Aufführung: „Kings Speach“ in so einer hervorragenden Inszenierung und Besetzung, dass ich mich noch tagelang mit den Hintergründen dieses, historischen Tatsachen nachempfundenen Stückes beschäftigte. Aus einer guten Inszenierung kommt man erfrischt, gut gelaunt und vergnügt heraus. Im besten Falle ist man nicht gelangweilt, sondern geistig angeregt, inspiriert und amüsiert worden. Auch wurden tiefe menschliche Gefühle angesprochen, so dass man Mitgefühl und Solidarität für andere Menschen entwickelt hat, übertragbar auf den eigenen Alltag, die heutige Zeit. Dazu wurden vielleicht Ohnmachtsgefühle durch Humor ausgehebelt und die Kraft eines Menschen gezeigt, der trotz vieler Widrigkeiten nicht aufgibt. All das ist hier geschehen.
Der Herzog Albert, zweitgeborener Sohn des Königs George V. von England, der spätere Vater von Queen Elisabeth, eindrucksvoll und sehr passend in Gestalt und Verhalten von Tom Herzog gegeben, leidet unter einem psychogenen Stottern. Es verstärkt sich in der Öffentlichkeit, so dass er diese meist meidet. Ein Gräuel sind ihm aufgezwungene Reden, zum Glück ist er nicht der Thronanwärter. Nun, es kommt, wie es kommen muss, sein Bruder versagt als Königsnachfolger, er muss doch ran. Da sein Stottern mit seiner Frau nicht auftritt, sucht diese einen Sprach-Therapeuten auf und wie dieser den Königssohn langsam heilt, wie sich überhaupt die Beziehung des Königssprosses zu einem Bürgerlichen anbahnt, aufbaut und bis zu einer Freundschaft vertieft, das ist der Inhalt des Stückes.
Aber nicht nur dieses private Problem wird hier verhandelt, sondern das wirkt entscheidend in die Weltpolitik hinein. Am Ende hält der König eine überaus authentische, sehr berühmt gewordene Radioansprache gegen Hitler, die jede angelernte königliche Steifheit abstreift und wirklich nur noch menschlich-human ist. Thema ist also, wie ein steifer, ungelenker, lebensuntüchtig erscheinender Mann mit Extremangst vor der Öffentlichkeit, am Ende vor diese selbst tritt, mit einer tief humanistischen Botschaft, und genau deshalb die Menschen mit einer humanen Botschaft zu erreichen in der Lage ist.
Was war das Besondere an dieser Aufführung? Die gute Gestaltung ihrer Figuren. Diese wurden immer widersprüchlich, immer changierend, nie eindeutig, nie schwarz-weiß, nie karikaturhaft gegeben. Oft haben sie anders reagiert als erwartet, und so wirkten sie echt und nicht maskenhaft. Realistisches Theater, ja, das war es, einfach, ohne formale Überhöhung, ohne Überzeichnung in Kostümierung oder Maske, klar, schlicht. Ich mag sowas. Je einfacher, je besser, finde ich immer, frei nach Brecht. Übrigens das, was am schwersten zu machen ist. Charly Chaplin soll Wochen und Monate an einer einzigen Szene geprobt haben um diese Einfachheit zu erreichen. Man kann das am Kindertheater sehr gut sehen. Es gibt das leider sehr oft überall vertretene schlechte Kindertheater, wo grell geschminkte, künstlich lachende, mit Schleifen versehene Erwachsene wie Puppen über die Bühne hüpfen und lachend Kinder animieren wollen. Beobachtet man da das Publikum, wird man meist stille und eher nachdenkliche Kindergesichter sehen. Das peitscht die Spieler oben zu noch mehr Klamauk auf. Kinder kommen angestrengt und quengelnd aus solchen Vorstellungen heraus. Das kommt: Kinder können keine Lügen ertragen. Es langweilt sie. Erwachsene eigentlich auch nicht, aber sie haben sich manchmal so daran gewöhnt, dass sie Künstlichkeit und Kitsch aushalten, weil sie glauben, es gehöre sich so. Hier in Zinnowitz, in der orangegelben „Blechbüchse“, da gab es jedenfalls echtes berührendes und beeindruckendes Spiel und weder Kitsch noch Künstlichkeit. Das kam in allem zum Ausdruck, in der Sparsamkeit der Requisite, der genauen Treffsicherheit der Mimik und Gestik der Spielenden, der Auswahl der Kostüme, sowie der gekonnten Verdichtung des Inhalts. Das hat das Publikum auch gespiegelt, es gab standing ovations für das Ensemble, der Beifall wollte nicht abebben, nochmal und nochmal wurden die Spieler herausgerufen, als die Hände schon müde wurden, kamen Füße zum Einsatz, ein tolles Stück, mit echter, wunderbarer Schauspiel- und Regiekunst prachtvoll inszeniert. Großartig und herausstechend war dabei der Hauptdarsteller, wie er das Stottern kopierte, war einzigartig. Es war immer etwas überaus Schmerzhaftes darin, nie reizte es zum Drüber-lustigmachen auf. Aber auch alle anderen Figuren waren bis in die kleinste Nebenrolle großartig.
Regie Rike Reiniger
Bühne & Kostüme Luisa Lange
Choreografie Marit Lehmann
Regieassistenz / Inspizienz / Soufflage Andreas Zimmerling
Bertie, Herzog von York Tom Herzog
David, Prinz von Wales Fiete Drahs
Elizabeth, Herzogin von York Anneke Höper
Premierminister Timothy Gramsch
Lionel Logue, Sprachspezialist Heiko Gülland
König George V, Vater von Bertie und David / Cosmo Lang, Erzbischof von Canterbury Felix Neander
Winston Churchill, Politiker Erwin Bröderbauer
Myrtle, Lionels Frau Leonie Mann
Wallis Chiara Ruf