Der gute Mensch von Downtown – Rezension
Ein Theaterexperiment der besonderen Art wagte das Team von Gisela Höhne jüngst im Ramba Zamba Theater: Das Stück, in dem Brecht am konsequentesten den V-Effekt und seine Form aufklärerischer Epik realisierte: „Der gute Mensch von Sezuan“. Das Team gestaltete es neu und um und verhandelte die Frage: Was ist Güte? Darin verwebt wurden aktuelle politische Fragen.
Das Theater Ramba Zamba entwickelt ihre Stücke auf eine besondere Weise improvisatorisch, dabei werden die Erfahrungen der Schauspieler, die in diesem Falle zu einer diskriminierten Minderheit besonderer Menschen (der mit dem Downsyndrom) gehören, einbezogen. Es handelt sich meist um Erfahrungen mit institutioneller Bevormundung, mit Vorurteilen aus der Welt der Nichtbehinderten, mit Diagnosen und medizinischen Zuschreibungen nach ICD-10-Liste, mit Psychopharmaka, mit den Folgen der Prenatalmedizin und dem Abtreibungsdruck gegen genetisch andere Kinder. Aber es geht auch um Sorgen, die die ganze Welt betreffen.
Mit denen spielen ist … toll!
Diesmal sind dazu drei prominente Gäste aus der nichtbehinderten Theaterwelt eingeladen, zusammen mit ihnen zu proben und zu spielen. Eva Mattes ist eine von ihnen und sie sagt zu der besonderen Art des Probens und der Spielentwicklung: „Mit denen spielen …toll! …Der Text wird eingesprochen…Es wird viel improvisiert,..Gisela stellt Fragen, um nachzuprüfen, ob jeder versteht, was er macht. Die Antworten der Schauspieler fließen in das Stück ein, …es kommt etwas hinzu oder fällt weg…einer versteht seinen Text nicht, der rein gerufen wird, und sagt ein anderes Wort, das vielleicht komisch ist, weil es eben ein bisschen „falsch“ ist, aber bleibt dann, weil es für die Situationskomik gut ist, oder weil es inhaltlich genauer ist und mehr Poesie hat“ (zitiert nach Programmheft)
Regenmäntel zu allen Jahreszeiten
Die Handlung spielt zunächst in einer nah-zukünftigen Welt voller Kälte und Nässe (symbolisiert durch das Bühnenbild, von der Decke herabhängende, glitzernd angeleuchtete Plastikstreifen, die ewigen Regen andeuten), Regenmäntel müssen zu allen Jahreszeiten getragen werden, es gibt dazu eine herrlich komische Szene dazu mit der Betreuerin Zizi ( Meriam Abbas), ebenfalls eine nichtbehinderte Gastschauspielerin. Die Erzengel irren als Flüchtlinge umher, sammeln Nahrung aus Abfällen und suchen in provisierten Plastikunterkünften nach Schlafmöglichkeiten, keiner will sie haben.
Abtreibungsdruck, Ausbeutung und Kälte
Am Ende landen sie in einer Institution für Downmenschen. Diese werden in einer institutionellen Atmosphäre geistiger Unmündigkeit gezeigt, gelangweilt durch kleinkindhafte Förderangebote. Dabei wird die Drosselung finanzieller Förderung gezeigt. In einer Gesellschaft naher Zukunft, wo das Klima in ewigen Regen gekippt ist, Menschen sich nur noch aus dem Abfall ernähren, Ausbeutung und Kälte die Beziehungen bestimmen und der Selbstmord eine reale Option geworden zu sein scheint.
Erzengel Gabriel, Michael und Luzifer suchen gute Menschen
Das Brecht-Drama wird zu uns zurückgebracht und in die Jetztzeit einer hoffnungslosen Zukunft verlegt: Aus den chinesischen Göttern werden die Erzengel Gabriel (Eva Mattes), Michael (Hans Harald Janke) und der gefallene Engel Luzifer (Cornelia Kempers). Diese werden von Gott, der ansonsten die Sintflut über die Menschen bringen will, aufgefordert „gute Menschen“ zu suchen, zunächst sollen es 30 sein, dann zehn, schließlich, da auch das unrealistisch erscheint, drei gute Menschen.
Abends zur Unzeit ins Bett
Während die Erzengel an die Suche glauben, will Luzifer sie verhindern. Die Sintflutdrohung wird durch den Klimawandelregen symbolisiert, die guten Menschen werden in einem Wohnheim für Menschen mit Downsyndrom gefunden, die tagsüber mit Sortierspielen gelangweilt und abends zur Unzeit ins Bett „gebracht“ werden. Sie sind die einzigen, die den auf der Erde herumsuchenden und wie abgerissene Flüchtlinge aussehenden Erzengeln Zuflucht gewähren, jedoch wird ihre Güte schon am Morgen nach der ersten Nacht recht nüchtern relativiert, sie schütteln sich, fanden das Schlafen doch etwas eng, gedrückt und unbequem. Doch die Engel wollen sogleich zu Gott eilen und ihnen von den drei guten Menschen erzählen.
Ist deren Güte ernst zu nehmen?
Doch stoppen sie plötzlich und fragen sich: Ist deren Güte ernst zu nehmen, da sie ja das Downsyndrom haben? Das wird zu einem Schlüsselsatz. Sie haben Betreuer und leben nicht selbständig. Kann also dann ihr Gutsein gewertet werden? So müssen die Erzengel ihnen zunächst einmal Selbständigkeit ermöglichen um die Güte daran zu messen, wie sie sich im realen Leben durchschlagen können. Sie schenken ihnen auf ihren Wunsch einen Teeladen. Das nehmen die drei guten Mädchen gern an, müssen sich dann aber auf einem verschrotteten Jahrmarkt mit ziemlich viel Widrigkeiten herumschlagen. Auch kommt die völlig verarmte Wohngruppe, samt der aus Geldmangel entlassenen Betreuerin zu ihnen und verlangt Aufnahme und sie verschenken alles und kommen so in neues Elend.
Wegducken, ausharren, durchboxen…Angriff
Doch wurden den dreien in der ersten Szene von ihrer Betreuerin einige Körperspiele beigebracht, die sich im Laufe des Stückes als höchst sinnvoll zur Bewältigung der Realität herausstellen, diese heißen: Wegducken, ausharren, durchboxen,….Angriff! Und so kommen die drei Mädchen Besche Ju (Juliana Götze), Besche Ne (Nele Winkler) und Besche Zo (Zora Schemm) auf die im Iran und anderen arabischen Ländern übliche Idee, sich mit schwarzen Strumpfmasken, Kappen und militärisch anmutender Uniformierung als Männer zu verkleiden um sich Respekt zu verschaffen. Dazu bewaffnen sie sich mit langen Stöcken, prügeln die Schmarotzer weg und retten in einer ersten Szene ihren kleinen Besitz. In einer weiteren verschaffen sie sich durch die Verwandlung und Männerverkleidung gegen Herrn Limbim, den Revuebesitzer (Joachim Neumann), der mit Luzifer im Bunde ist, Respekt. Man nennt es im Iran und in Afganistan: “Bacha Posh” und es ist weit verbreitet, wenigstens ein Mädchen in einer Familie, die nur Töchter besitzt, während der Kindheit in einen Bacha Posh zu verwandeln. Bacha Posh hilft auch den Downfrauen, sich durchsetzen zu können.
Soll es ein andrer Mensch sein? Oder eine andere Welt?
Ist das nun gut, ist das schlecht? Es lässt Fragen entstehen im Sinne Brechts:„Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen/ Den Vorhang zu und alle Fragen offen. […] /Soll es ein andrer Mensch sein? Oder eine andere Welt?/Vielleicht nur andere Götter? Oder keine? […]/Sie selber dächten auf der Stelle nach/Auf welche Weis dem guten Menschen man/Zu einem guten Ende helfen kann./Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss!/Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!“ – Bertolt Brecht: Bertolt Brecht: Der gute Mensch von Sezuan. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1964, S. 144
Zum Ende mag sich Eva Mattes als Erzengel nicht mehr raushalten, sie will sich einmischen, und springt aus ihrer distanzierten Zuschauerposition unter die Spieler und kämpft mit, engagiert sich.
Die Angst der Menschen mit Downsyndrom als hässlich zu gelten
Im Laufe des Stückes werden viele weitere Themen verhandelt, die geschickt in die Haupthandlung eingebaut sind: Etwa die Angst der Menschen mit Downsyndrom als hässlich zu gelten, wie empfinden und fühlen und leben Menschen Liebe, Treue und Beziehungsfähigkeit? Dazu gibt es eindrucksvolle Sequenzen, die in einer Zwischengeschichte mit einem Selbstmörder spielen. Dann der Kinderwunsch, der mit dem Wunsch keine Kinder kriegen zu müssen, verbunden wird. zu Beginn des Stücks tritt außerdem ein Mär-Wolf (Mario Gaulke) auf, ein Ausbeutung, Grausamkeit und Gier verkörperndes Monster. Interessant ist auch die Wandlung, die die Betreuerin Zizi vollzieht, von einer künstlich-freundlichen über den Betreuten stehenden Frau hin zu einer, die im gleichen Boot der Ausblutung sozialer Projekte sitzt. Sie kommt auf die Idee, sich mit den Bewohnern, im Tingeltangel verkleidet, auf dem Jahrmarkt auszustellen.
Kein inklusives Mitleidstheater
Ein großartiges, zeitgeschichtliches Theaterstück für Erwachsene jeden Alters. Kein inklusives Mitleidstheater sondern große Brecht-Bühne! Mit sehr guter jazziger Livemusik, eigens komponiert von Ernst Bechert und Stefan Dohanetz, die zusammen mit Moritz Höhne, (Bass, Trompete und Percussion) in einer kleinen Band im Hintergrund spielt, dazu Bühne und Kostüme, die äußerst phantasievoll sind, Plastik und Abfälle verarbeitend, dem Thema angemessen, in grau und regen-angeschmuddelten Farben, super originell, nie formal überbordet . Unbedingt hingehen!