Die Kontrakte des Kaufmanns – Blick ins Innere des kapitalistischen Wahnsinns – Rezension
23.2.10 / Feuilleton / junge welt
Die Tageszeitungen haben sich in den letzten ein, zwei Jahren in Wirtschaftskriminalitätsblätter verwandelt, kein Tag ohne Straftaten der gesellschaftlichen Eliten.« Das schreibt Elfriede Jelinek im Programmheft zur Inszenierung ihrer Wirtschaftskomödie »Die Kontrakte des Kaufmanns«, für die sich das Hamburger Thalia und das Schauspiel Köln zusammengetan haben. Sie wurde unter die Top ten gewählt, die im Mai beim Berliner Theatertreffen laufen. Am Anfang kommt Regisseur Nicolas Stemann wie ein Entertainer mit rotem Mikro auf die Bühne und stellt das Jam-Session-Theater vor. Das Stück entstehe bei jeder Aufführung neu, man solle sich überraschen lassen, könne den Saal jederzeit durch die offenen Türen verlassen. Nach 99 Seiten – Stemann verweist auf eine rote Zählrädchenmaschine links der Bühne – habe man es hinter sich. Im übrigen nutze Jelinek ihn als Textverwertungsmaschine und schreibe für jede Aufführung 30 neue Seiten, weshalb das Stück leider etwas lang sei.
Keinen Wert mehr
Vorn auf der Bühne sitzen ein Mann und eine Frau in den besten Jahren auf einem verpackten Sofa und stellen Kleinanleger dar: »Unsere Zertifikate haben keinen Wert mehr, wir haben keinen Wert, wir sind nichts mehr wert, wenn wir mehr hätten, hätten wir es natürlich groß angelegt und nicht klein, klein«, klagen sie. »Unsere Pension ist weg, wir haben in etwas investiert, was wir für sicher hielten, aber das ist es nicht, es ist nicht sicher, wir haben investiert, wir haben nicht in das Nichts investiert«. Oder doch? »Es müßte doch noch da sein, das Nichts, was investiert wurde.« Die Krise belehrt sie eines Besseren: »Das war aber das totale Nichts, in das wir da investiert hatten, Hans im Glück, der ein Stück Papier für seine goldene Gans bekommen hat«. Am Ende der Szene werden die rapide gealterten Kleinanleger seitlich auf Rollstühle in ein einem Pflegeheim abgelegt. » Lose dürfen wir auch kaufen, aber Gewinne kriegen wir nie!«
Die Börsenkurse fallen auf Hochglanz
Die sieben Schauspieler lesen ihren Text von 99 Blättern ab. Jede Seite, die inszeniert ist, wird weggeworfen, so daß am Ende sieben mal 99 den Boden bedecken – die auf Hochglanzpapier gegebenen Versprechungen der Börsenmafia. Im Hintergrund auf der Bühne residiert an einem Tisch ein Chor der Manager, der »Chor der Greise« genannt wird. »Die Börsenkurse fallen, weh, weh!«, wird da gesungen. Dazu spielt Stemann Klaviermusik. »Wir haben nichts entnommen, wir haben entnommen, es wurde für unsere Zwecke entnommen, unser Zweck ist es, zu nehmen!«
Keine Sicherheit
Zwei Makler kommen nach vorn, einer im Rollstuhl, scheinbar dement, denn er findet nie die Hauptworte – eine Szene mit viel Witz. Der Sprachgestörte weist seinen Assistenten an, auf das Flipchart unverständliche Hieroglyphen zu kritzeln, die den Geldfluß verdeutlichen. Beide singen: »Unsere Marktentwicklung ist zu schwach, zu schwach! Sie bekommen keine Sicherheit von uns, die brauchen sie auch nicht, ihr Einfamilienhaus, was sie geerbt hatten, haben sie ja schon an uns verkauft, wozu brauchen sie da noch Sicherheit? Ihr Geld lebt jetzt bei uns, es hat es da gut, arbeitet, treibt Sport, macht Ferien. (…) Es hat Sie verlassen, ja, es lebt jetzt bei uns, da ist es in Gesellschaft«.
Textsog Jellinek
Jelineks Texte wirken wie ein Sog. Die Worte sind stereotype Hämmer, die niedersausen, um »das gefrorene Eis in unseren Herzen und Köpfen zu zerschlagen«. Ins Innere des kapitalistischen Wahnsinns wird hier gereist. Dem Ungeheuer wird die Warhheit zwischen seine zermalmenden Kiefer gepreßt. Aus Geschäftsberichten wird zitiert, Kundengespräche in Banken werden nachempfunden. Dazwischen tauchen Fragen auf, die man stellen sollte, die aber niemand stellt, weshalb das ohne Wirkung bleibt.
Das ältere Ehepaar tanzt mit Schafsköpfen auf der Bühne vor einer Leinwand, auf der eine Frau sich unentwegt Geldscheine in den Mund stopft. Mittlerweile ist der Jam zum Happening ausgeartet. Die Manager verspritzen Farbe, die Tuben werden zu Waffen, auf das Flipchart wird eine Frau gekreuzigt. Schließlich spazieren Wolfsköpfe und Westerwelle-Masken über die Bühne, bis alles zusammenkracht: »Das Geld, daß Sie einst hatten, haben wir verschwinden lassen, das sollte ja nicht rauskommen, aber kommt doch raus, aber ohne Folgen«. Laut wird dazu auf Rohre geschlagen. »Das Kapital haben wir verfeuert, es war klein, Ihr Kapital, aber wir haben es verfeuert«.
Wer macht uns alle? Die Bank
Die Manager führen ein Zauberstückchen auf. Sie zünden das Geld einer Zuschauerin an, und verlangen von einem anderen, daß er ihr das Doppelte zurückgebe. »So genau ist das, nicht anders, na klar, geben Sie es jetzt zurück, her mit dem 50-Euro-Schein, hier in den ersten Reihen kann das doch kein Problem sein.« Dann wieder Musik, diesmal außerdem Blumen: »Wir haben Ihr Geld auf einer Südseeinsel versenkt, wo es jetzt Ferien macht.«
Wer macht uns alle? Die Bank. Wer tötet uns? Die Bank. Das ist das Fazit all dieser Verweise auf Bankencrashs und Betrügereien: Ein ganzer Krieg wird im Namen des Geldes gegen das Volk geführt. »Sie können dankbar sein, daß wir uns überhaupt kontrollieren lassen. Bei Gott gibt’s gar keine Kontrolle, er ist die oberste Instanz!« »Wir haben in Immobilien im Osten investiert, in Kläranlagen, in Ölpipipelines – wir können Ihnen Ihr Geld nicht zurückgeben, es arbeitet.« »Riesige Geldströme fließen wie Flüsse.« »Das Geld hat Hunger und wird gefressen.«
Bruchstücke; Satzfetzen; kein zusammenhängender Text; kurze, fragmentarische Szenen. Oft wird das Publikum angeschrien: Weil es zu reich ist? Weil es nichts gegen all das tut? Weil es nur dasitzt und still ist? Damit es endlich aufwacht?
Stemann hat das Schreckliche, das einen immerzu ohnmächtig macht und dem Jelinek einen vorzüglichen sprachlichen Ausdruck verlieh, mit spielerischer Leichtigkeit auf die Bühne gebracht. Er fällt nie in sensationsheischende Selbstbespiegelung. Vor verwesenden Hasen und zerstückelten Leichen wird man glücklicherweise bewahrt.
Der große Geldschrank, der wie ein Mond über der Bühne hängt, senkt sich zum Ende des Stückes herab, die Schauspieler gehen dahinein ab, »Fort, geht alle fort …« Den Menschen bleibt nur das übrig. Die Bühne ist übersät mit Hochglanzblättern, dazwischen Farbe, umgekippte Stühle, Geräte, Chaos, wie nach einem neuzeitlichen Krieg. Stimme aus dem Off: »Nichts gehört Ihnen mehr, gar nichts, nichts!«
Schweres antikapitalistisches Geschütz.
Nächste Aufführungen: 26. u. 30.3., 19 Uhr, Thalia, Hamburg