Oba Blaiba – Film über Stuttgart 21
Zu Anfang hört man Leute reden: „Die Zeit ist reif – Das entspricht nicht unserem Demokratieverständnis“, man hört es rhythmisch donnern, die Abrissbirne? Man sieht es nicht, stattdessen Demonstrierende, dazu Glockengeläute, Bilder von riesigen Demos im Zeitraffer, übereinander geschnittene, sich abwechselnde Bilder eines riesigen Protestaufkommens, ein Film, mit dem man in die Initiativen gehen kann, ein Film, der zeigt, dass es in Stuttgart um mehr geht, als den Bahnhof: „Wir wollen den Regierenden zeigen, dass wir uns das nicht gefallen lassen!“
Stimmen aus Interviews, Peter Conradi, SPD, Architekt: „Es ist eine Schweinerei, es geht hier nur noch um eine Demonstration der Macht!“ Ein anderer: „Die Menschen fragen sich schon lange, warum sollen sie überhaupt noch zur nächsten Wahl gehen?“ Laufende Regenschirme, Nacht-Demos bei 10 Grad minus, die Leute singen, skandieren, tragen Schilder.
Solikonzerte mit Geige
Interviewpartnerin mit Geige: „Macht darf in einer Demokratie nie für die Durchsetzung von Einzelinteressen missbraucht werden!“ Das die Politiker sich nicht wundern, warum die Leute sich nicht vertreiben lassen, selbst bei -10 Grad nicht..“, sie organisiert mit ihrer Familie Soli-Konzertabende, ihre Musik begleitet den Film, Händel, Bach… Der Film hat sich zur Aufgabe gesetzt, den Protest über ein Jahr, Monat für Monat zu begleiten, die Bilder der jeweiligen Protestmonate sind montagehaft ineinander geschnitten, man bekommt einen ungeheuer ermutigenden Eindruck der Entwicklung des Protests zum Widerstand. Man sieht, wie es wächst, wie sich das Bewusstsein sprunghaft entwickelt, die Erkenntnisse von der Bahnhofsproblematik übertragen werden auf die gesamte Gesellschaft, wie Demokratie von den Menschen erst hinterfragt, dann endlich mal praktiziert und schließlich niedergespritzt, -geknüppelt, -getreten wird, aber das hilft nicht, die Menschen formieren sich in den späten Abendstunden des 30. September den Polizisten gegenüber in einer langen Reihe wie in einem mittelalterlichen Schlachtengemälde. Rufe: Schämt Euch! Eure Mitbürger verprügeln! Denkt nach! Ihr habt doch Hirn, benutzt es, verkauft eure Haut nicht, denkt nach!
Die Leute beginnen nachzudenken
Abrissbirnenbilder, wieder Demos: Gesang gegen Schuster: „Geh, Mister Tunnelmann, gieß deine Bananen…damdadamda…und der Bahnhof bleibt da!“ Kontinuierlich wird der Protest auch gezählt: 4000, 6000, 15.000… Interviewstimme: „Die dachten, das ziehen sie durch, die paar Leute, mit denen würden sie schon fertig werden, aber die Leute begannen nachzudenken…“ Immer sichtbarer wird, genau das hat die Menschen aufgebaut, das hat sie kreativ gemacht, das hat sie kommunikativ gemacht, sie haben sich endlich mal demokratisch betätigt. Aber das passt den Herren dort oben nicht, nun kommt raus, diese haben unter Demokratie verstanden, dass sie allein bestimmen und das Volk, der große Lümmel, hübsch brav den Mund hält. Die Menge skandiert: „Lügenpack – Lügenpack!“
Weil alles eine große Schweinerei ist
Es ist erstaunlich, aber wie man es oft schon vorausgesagt hat: Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein! Volker Lösch als Revolutionär: zeigt es den Lügnern! Dann immer wieder Fragen an die Menschen auf den Straßen: Warum sind sie hier? Weil das alles ein große Schweinerei ist, Geldschneiderei, weil wir den Park verlieren, die Bäume, unsinnige Geldverschwendung, stattdessen das Geld lieber in soziale Projekte… Ein echter Volksprotest mit großer sinnstiftender und identitätsstiftender Wirkung. 50.000 haben den Apell unterschrieben, eine ungeheure Vielfalt des Protestes, der Bahnhof ist nur noch Exempel, es geht um mehr, um Gerechtigkeit, um unterdrückten Bürgerwillen, um undemokratische Geld- und Kliquenherrschaft, jahrelanger Unmut nährt die Kraft der Leute und gibt kreative Energien a la Gorleben frei, die Menschen finden Reime, erfinden Lieder, sie beeindrucken, man sieht sogar schon nachdenkliche Gesichter bei den Polizisten, weshalb man zum 30. andere anfuhr, damit nicht die Gefahr bestand, dass sie auf eigene Angehörige würden prügeln müssen. Sehr originelle riesige, tanzende Marionettenpuppen werden anlässlich der Besetzung des Nordflügels gezeigt, wie viele klebten und arbeiteten allein daran? Die Menschen halten die Leitern für die Besetzer, ungeheure Solidarität, ganz Stuttgart scheint zu leben, zu brodeln, sich zu solidarisieren.
Wieso? Sie waren doch Staatsbeamter?
Doch immer wird argumentiert, immer wird genau begründet, differenziert belegt und bewiesen, hoher Infowert. Ein CDU-Mann, 71 jahre alt, der dort schon seinen Austritt erklärt hat, sagt, er würde sich anketten an den Bahngleisen, er würde sich mit bloßem Oberkörper den Baumaschinen entgegenstellen, er würde nie mehr vom Stuttgarter Hauptbahnhof fahren, wenn der Bahnhof je gebaut wird. Danach sieht man ihn mit seinem klappfahrradmobil, überall beklebt mit Parolen. Wieso?Sie waren doch jahrelang Staatsbeamter? Zuviele Lügen, das wars. Und immer wieder der Vorwurf der Grundgesetzwidrigkeit. Die Leute haben die Bäume mit Bändern umwunden, sie waren hinaufgeklettert, an den endlos scheinenden Absperrgittern kleben überall Zettel, Parolen, Bilder, ungemein phantasiereich. Beinahe schon eine Revolution. Nach diesem Film weiß man, das wird nicht ohne Fernwirkung bleiben. Gut zur Ermutigung und Aktivierung resigniert-gelangweilter politischer Gruppen zu gebrauchen.