Was war und was wird – in Rostock – Rezension
WAS WAR UND WAS WIRD
Schauspiel von Lutz Hübner und Sarah Nemitz
Regie: Sascha Mey
Mit Katja Klemt und Peer Roggendorf
Compagnie de Comedie in der Bühne 602 im Rostocker Stadthafen
Es gibt einen Charakterdarsteller in Deutschland, der spielt in Rostock. Er kann wie kein anderer den eitlen Mann, den schwulen Mann, den schüchternen, traurigen, selbstmitleidigen, den fürsorglichen, lustigen, überschwänglichen und depressiven Mann spielen. Peer Roggendorf. Dieser Darsteller lebt und arbeitet in Rostock. Seit vielen Jahren bereichert er mit ungeheurer Spielleidenschaft die Compagnie de Comedie und das Sommer-Theater im Klostergarten in Rostock. Es ist in seiner Eigenart derart besonders, dass man ihn sich einprägt wie ein Familienmitglied oder einen besten Freund. Er beherrscht die griechische, die shakespaere´sche, die moliere´sche Spielweise, er spielt tragisch und komisch, modern und klassisch, immer auf besonders köstliche Weise selbstironisch eitel. Sein Pendant findet er in der immer etwas kühl-herben Katja Klemt. Sie ist gänzlich uneitel, manchmal scheu, manchmal zurückhaltend, manchmal mächtig und raumgreifend, immer gradlinig, fest, stark. Eine in Greifswald, Stralsund und Rostock sehr bekannte Charakterdarstellerin mit vielen Fassetten, Dozentin und Regisseurin. Die beiden geben ein wunderbares Theaterpaar, wie geschaffen für Ehekomödien. Am diesjährigen Pfingstwochenende wurden zum Abschluss der Theatersaison, bevor es in die Freiluftsaison in den Klostergarten ging, zwei wunderbar witzige, wunderbar echte und psychologisch köstlich auf unsere Zeit passende Ehedramen gezeigt, (Was war und was wird – Hübner/Nehmitz und die Wunderübung, Romanadaptation nach Daniel Glattauer) das erste: „Was war und was ist“ vom Ensemble Lutz Hübner und Claudia Nehmitz hat mich sehr überzeugt.
Zum Ensemble Hübner/Nehmitz ist zu sagen, dass auch diese Künstler außergewöhnlich gut und produktiv sind. Das momentan „meistgespielte Theaterschreiberpaar“ (Kammerspiele, Hamburg). Zeitgenössisch die besten Komödienschreibende. Ihre Komödien sind immer mit Tiefgang, enthalten viele, im Alltag versteckte Wahrheiten, es gibt immer eine vordere und eine hintere, eine äußere und eine innere Ebene. Gedanken werden sichtbar gemacht, Erkenntnisgewinn ist das Ziel, dazu amüsiert man sich köstlich. Zu Beginn sitzt ein mittelaltes Paar im Publikum, erste Reihe, und beginnt sich über Programmheft und Parkplatz herumzustreiten. Als es eskaliert, bekommen sie die Bühne, sie dürfen nun ihr Leben Revue passieren lassen und einen Blick in die Zukunft wagen. Zum Schluss finden sie ins Publikum zurück. Eine sehr originelle Stückidee, die Spieler sozusagen zu Regisseuren ihres eigenen Lebens zu machen. Das Stück wirft nun einen Blick in den Lebensentwurf zweier Menschen, zeigt aber auch das Scheitern der grünen Idee von der biologisch-dynamischen Gesellschaftsveränderung. Nicht nur Spießer sind beide geworden, sie haben auch ihre vormalig kapitalismuskritische Haltung gegen eine, die Gesellschaft und Wirtschaft Unterstützende vertauscht. Trotz aller Komik Gänsehaut. Die Lebens-Chronik erkennt man wieder. Jedoch: Das Besondere an diesem Ehedrama: Es ist nicht nur eine Rückschau auf Ehe und Familie mit all ihren Problemen durch drei Jahrzehnte deutscher Geschichte, sondern auch eine variable Zukunftsaussicht. Beide dürfen sich die Zukunft ausmalen. Verstörende Szenen entstehen. Dies führt zu der Überraschung, dass sich das Paar doch offenbar zu lieben scheint. Und dass doch auch etwas Positives entstanden ist, und sei es nur ein wenig Empathie, ein wenig Fürsorge füreinander. Danach gehen beide bestürzt ins Publikum zurück. Die Wut ist verraucht, das Paar schaut sich an, gehen wir in die Pause? Frenetischer Beifall!
Zur Info:
Die Compagnie de Comedie in Rostock ist ein Wendekind, gegründet 1991. Sie hat eine Haltung für Frieden und Gerechtigkeit und einen gesellschaftskritisch-humanitären Anspruch. Das Besondere waren von Anfang an Klassiker, karg, knapp, skuril, witzig und modern gespielt, in Nachfolge von Shakespeare, Moliere, Brecht und Dario Fo, wunderbare Schauspielproduktionen echter Theaterliteratur, musikalische Komödien und Kinderstücke. Seit dem Jahr 2000 hat sie ihre Spielstätte in der Bühne 602 im Rostocker Stadthafen gefunden, die sich auch abwechslungsreichen ca. 190 Gastspielen im Bereich Jazz, Kabarett, Lesungen, Konzerte, wie Wenzel, Eisenbrenner, Barbara Thalheim etc. öffnet. Die erste Premiere der Compagnie de Comédie fand am 12. Juli 1991 zur Zeit des Golfkriegs, mit Aristophanes “Eirene – der Frieden“ statt. Das Theaterensamble erarbeitet in jeder Spielzeit fünf neue Inszenierungen. In den Sommermonaten Ende Mai bis Ende August spielt die Compagnie außerdem die beliebten Freilichtvorstellungen im Rostocker Kloster “Zum Heiligen Kreuz“. Einheimische Ensemble wie die Weltmusikschule „Carl Orff“, Theater am Ring, die bürger & der gorr, Kabarett KaHROtte, Kabarett ROhrSTOCK, Kabarett Dietrich & Raab, das Theater am Ring, die Freigeister, die Niederdeutsche Bühne Wismar und die Niederdeutsche Bühne Rostock haben in der BÜHNE 602 einen festen Spielort gefunden. Dazu die Sommeraufführungen im Klostergarten! Immer wieder grandios! Ein Besuch in Rostock lohnt sich allein wegen dieses Theaters!